Vorsicht, Finte!

Jahrzehntelang war sie fast ausgestorben, in diesem Jahr dümpelt sie wieder die Weser herauf. Der seltene Fisch, der im Salzwasser lebt und im Süßwasser laicht, könnte für Hafen- und Tunnelbauer zum Problem werden. Oder selbst eines bekommen

Das Fischlein heißt Finte, und es ist derzeit kräftig im Kommen – buchstäblich. Von der Nordsee her schwimmt es die Flussläufe rauf und gewöhnt sich für einige Zeit das Salzwasser ab. Die wilde See, so scheint es, ist nicht gemütlich genug zum Laichen. Bremen schon.

Deswegen interessieren sich neuerdings auch Hafenbauer, Flüssevertiefer, Autobahnplaner und Umweltminister für die Finte. Die könnte nämlich ein Problem werden. Oder selbst eins bekommen.

Etwa in Bremerhaven: Wenn dort irgendwann das neue Containerterminal CT IV in den Schlick gerammt werden sollte, wird es laut. Möglicherweise zu laut für die Finte.

Oder in Bremen: Die dicke Autobahnröhre, welche die Tunnelbauer bei Seehausen in die Sohle der Weser einspülen wollen, könnte just den beliebtesten Laichplatz der Finte zerstören. Ganz zu schweigen von der achten Vertiefung der Unterweser, für die demnächst das Planfeststellungsverfahren beginnen soll. „Ökologisch ein weiterer Schritt ins Deasaster“, warnt Biologe Michael Schirmer von der Bremer Universität – auch für die Finte: „Es ist völlig unklar, wie viel Ausbaggerung sie verträgt.“

Alosa falax, so der akademische Titel des bis zu 40 Zentimeter großen Fisches, zieht nur zur Fortpflanzung ins Süßwasser. Weil dazu eine komplizierte Umstellung fischlicher Organe notwendig ist, muss das Tier eine gewisse Zeit im so genannten Brackwasser bleiben – kein Dreckwasser, sondern ein Gemisch von Salz- und Süßwasser. Hier wandert Alosa falax mit den Gezeiten hin und her und treibt so peu à peu immer weiter in die Weser, während sich ihre Organe umstellen. „Ein Prozess, der dem Fisch viel abverlangt“, so Schirmer, „eine sehr stressige Situation, weil die Tiere eine physiologisch große Aufgabe zu bewältigen haben.“

Lärm, wie er beim Bau des CT IV entsteht, könnte die Finten in dieser labilen Phase empfindlich stören. „Könnte“, weil es noch keine Erkenntnisse darüber gibt, wie viele der kleinen Schwimmer sich wann wo genau treiben lassen.

Schirmer hat deswegen die Aufgabe, die Finten, die in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren fast ausgestorben schienen, zu zählen. „In ordentlicher Zahl“, seien die Fische in diesem Jahr in die Unterweser geschwommen, berichtet er. Immer noch aber gilt die Finte als sehr gefährdet. So gefährdet, dass sie im Katalog der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU steht. Und also die wichtigen Laichplätze unter Schutz gestellt werden müssen.

Das ist ein veritables Politikum. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) etwa hofft, mit Hilfe der Finte vor allem der ungeliebten Hamburger Hafenkonkurrenz eins auswischen zu können. Um den Fisch zu schützen, so hat er unlängst vorgeschlagen, sollten allein Gebiete entlang der Elbe als FFH-Gebiet ausgewiesen werden. Naturschutz an den Flussmündungen von Weser und Ems, so Sanders Kalkulation, könne sich Niedersachsen dann sparen.

Schirmer widerspricht. Es müssten „möglichst viele einzelne Populationen geschützt werden“, fordert er, also auch die in der Unterweser. „Man stelle sich nur vor, dass es zur falschen Zeit einen Ölunfall in der Elbe gibt“, sagt er: „Dann würde man sich fragen, warum man die Finte nicht auch in der Weser geschützt hat.“

An Verständnis für die Belange der Finte mangelt es nicht nur dem niedersächsischen Umweltminister. BremenPorts etwa, sagt Martin Rode vom BUND, habe sich in ihren umfänglichen Anträgen zum Bau des Containerterminals CT IV nicht die Bohne um die Finte geschert. Erst ein Finten-Workshop mit Biologen und Hafenplanern konnte daran etwas ändern.

Drei Möglichkeiten, die Finten zu schützen, kamen bei dem Treffen heraus. Zum einen könnten die Spundwände, statt schlagweise in den Boden gehämmert, auch etwas sanfter in den Grund gerüttelt werden. „Aber was machen Sie, wenn Sie da auf Widerstand stoßen?“, fragt Schirmer. Da werde dann doch gehämmert werden müssen. Fintenschonend könnte zweitens ein schalldämmender Vorhang aus Luftblasen um die Baustelle herum sein. Schirmer favorisiert indes die dritte Variante: erst einmal herauszufinden, wann genau sich Fintenschwärme im kritischen Bereich aufhalten, und die Rammarbeiten in dieser Periode schlicht zu vermeiden. So weit wollte BremenPorts aber nicht gehen. Einzige Zusage: Man werde maximal acht Stunden und höchstens eine Bohle am Tag hämmern, am Wochenende soll Ruhe sein.

So lärmempfindlich die Finte ist, wenn sie ihre Organe ans Süßwasser adaptiert, so laut ist sie selbst, wenn sie zwischen Brake und Bremen dann zur Fortpflanzung schreitet. Wenn die Finte sich mehrt, sagt Fintenfachmann Schirmer, sei das „ein sehr lautes Geschehen, ein Spaddeln und Sprudeln und Springen“ direkt unter der Wasseroberfläche, das Ohrenzeugen als „lautes Schraubengeräusch“ beschreiben, noch dazu „meilenweit“ zu hören.

       S. Gieffers/A. Simon