philipp maußhardt über Klatsch
: Warten auf Siebeck

Canyoning, Rafting und Freeclimbing sind out. Cooking heißt der Abenteuersport in diesem Urlaub

„Nein“, schrie Maria, „nicht auch noch den kleinen Edelstahltopf und den Milchschäumer. Die bleiben hier.“ Keine Chance. Ich hatte sie schon im Auto verstaut zwischen den anderen Pfannen, Brätern, Kasserollen. Fast die gesamte Kücheneinrichtung war nun hinter dem Fahrersitz aufeinander gestapelt, vom Salatsieb bis zum Zauberstab. Nur ein paar Gabeln, Messer und unnützes Zeugs ließ ich zurück. Nachbarn müssen wohl gedacht haben: „Jetzt zieht er endgültig aus. Jetzt ist es so weit.“ Es war so weit. Vor ein paar Tagen bin ich losgefahren mit meiner rollenden Küche immer Richtung Süden.

Auf der langen Fahrt durch die Westschweiz und hinunter nach Grenoble ging mir noch einmal durch den Kopf, was Vincent Klink gesagt hatte. Der Koch und Philosoph aus der Stuttgarter „Wielandshöhe“ hatte mich tags zuvor mit dem Satz verabschiedet: „Denk daran, du musst immer mit der Sonne kochen.“ Was hatte er damit gemeint? Ein frohes Herz? Reife Tomaten? Oder wollte er nur sagen: „Wenn es schief geht, nimm’s nicht so schwer“? Hinter Grenoble hörte die Autobahn auf, und die Straße wand sich kurvig durch die Ausläufer der Alpen. Nur noch ein paar Stunden, dann passierte ich das Ortsschild „Le Val“. Ich war da.

Auf einem Zettel hatte ich mir eine Zufahrtsskizze zum Hotel „Lou Valen“ gemacht. Am Ortsausgang links und zweimal rechts. Ich hupte, als ich auf den leeren Parkplatz fuhr, und rief durchs offene Wagenfenster: „Der Koch ist da.“

Hier im Hinterland von St. Tropez würde ich die kommenden drei Wochen verbringen. Nicht als Gast am Pool. Nicht als Tourist auf der Liege. Mein Zimmer lag im Trakt für das Servicepersonal gleich neben der Küche.

Der Mount Everest wurde vor 50 Jahren bestiegen, die Kalahari aus allen Richtungen durchquert. Es gibt nichts mehr zu entdecken auf dieser Welt – außer sich selbst. Mehr muss man nicht sagen, um zu erklären, warum ich sofort Ja sagte, als mich eine Bekannte vor ein paar Wochen fragte, ob ich in dem von ihr gepachteten Hotel in der Provence im Sommer die leer stehende Restaurantküche übernehmen wolle.

Immer für dieselben Freunde kochen, wird mit der Zeit etwas langweilig. Sie nicken zwar noch wohlwollend mit dem Kopf, aber ihr Lob zählt mit den Jahren immer weniger in den Augen des Kochs. Für Fremde kochen, die sich noch überraschen lassen, ist ein größerer Reiz. Besonders unter Journalisten ist die Vorstellung weit verbreitet, irgendwann, ja vielleicht schon bald einmal als Betreiber eines kleinen Restaurants ein neues Leben zu beginnen. Aber nur wenige schaffen es: Der Stuttgarter ZDF- Korrespondent Harry Reitmaier steht abends als stolzer Wirt in seiner Waiblinger Kneipe „Zum Wetzstein“ und serviert Linsen mit Spätzle. Doch bleibt der Traum vom eigenen Lokal in den meisten Fällen unerfüllt. Oder endet, wie bei Klatschreporter Michael Graeter („Café Extrablatt“), in einem wirtschaftlichen Desaster.

Wolfram Siebeck hat den umgekehrten Weg gewählt: Er schreibt seit vier Jahrzehnten über das Essen, und wenn auch manche Kritiker des Kritikers meinen, ihm falle dazu auch nichts mehr Neues ein, muss ihnen heftig widersprochen werden: Das Thema ist unerschöpflich und Siebeck ein Meister im Entdecken immer neuer, noch unerforschter Gänge der Mundhöhle. Zurzeit singt er das Hohelied auf die Erbsensuppe und lobt die einfache, die klare, die monotheistische Küche. Du sollst nur ein Gewürz lieben und keine anderen neben ihm haben. Das war nicht immer so, aber das ist ja das Schöne, dass sich Siebecks Geschmacksnerven in vier Jahrzehnten eben auch weiterentwickelt haben. Möge der Meister noch lange leben und möge er vor allem in den kommenden Wochen in meinem Ferienrestaurant vorbeikommen (Siebeck wohnt ganz in der Nähe). Dann wird er auf der Terrasse sitzen und bei meiner „Lotte auf Oliven und Zitronen“ erst den Duft in die Nase einsaugen, wird bei der Hasenterrine vor Aufregung auf dem Stuhle herumrutschen und schließlich vor Freude über mein Safranrisotto in den Swimmingpool fallen. Ja, wenn der Siebeck käme …

Immerhin: Der Bürgermeister des kleinen Dörfleins „Le Val“ war schon da. Als ich vor zwei Tagen zum ersten Mal in der Küche stand, schaute er vorbei, um sich anzusehen, was hier vorgeht. Erst bekam ich einen Schreck, denn auch in Frankreich benötigt man natürlich zum Kochen in einem öffentlichen Lokal eine Lizenz. Und die habe ich nicht. Doch schon nach der Lauchquiche nickte Monsieur Gautier gefällig mit dem Kopf. „Das ist Kunst“, sagte er, „und für Kunst braucht man nirgends auf der Welt eine Genehmigung.“

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