Der Auszug der Ägypter … (1)

Politische Archäologen wickeln längst mumifizierte Sprüche aus den Mullbinden

Der arabische Nationalismus des ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel-Nasser war eine prima Idee: „Die Grenzen im Nahen Osten, die von den Kolonialstaaten gezogen wurden, fallen – und alle Araber werden Brüder …“ In echtem Glauben an diese Formel jubelten einträchtig Mahmud-Normalverbraucher und die Intellektuellen Nasser zu; eine Reaktion eben darauf, dass sie Jahrhunderte lang von fremden Mächten beherrscht worden waren. Die Menschen – in Aufbruchhöchststimmung – demonstrierten und revolutionierten; sozialisierten und egalisierten. Institutionalisiert wurden Nassers Ideen von der arabischen Einheit Anfang der 60er-Jahre – mit der Gründung der Arabischen Liga. Dann verlor „die arabische Nation“ 1967 den Sechs-Tage-Krieg – und, aus die Maus, Nasser war weg von dem Fenster, durch das er „Einheit“ gesehen hatte.

Heute haben die einzelnen Staatsoberhäupter der Region längst eigene, arg begrenzte Parolen ausgegeben. König Abdullah II. ließ beispielsweise in seinem Reich Jordanien überlebensgroße Poster aufhängen – mit schönen, bunten Fotos von glücklich lachenden Familien und dem Slogan: „Jordanien zuerst!“ Im Irak heißt es seit neuestem „Kopf hoch – du bist Iraker“. Auch in Kairo haben politische Archäologen längst mumifiziert gewähnte Sprüche wieder aus den Mullbinden gewickelt: Denn wie in den Jahrhunderten vor Nasser sagen die Ägypter – in Abgrenzung zu den Arabern – sie seien keine Araber, sondern Ägypter. Und selbst die syrische Führungsclique, die sich als einzige heute noch als real existierende Verfechterin der arabischen Sache sieht, erklärt auf Plakaten ihrem Volk, dass die syrischen Oliven die besten seien.

Trotzdem treffen sich die Könige und Dreiviertelkönige der arabischen Welt noch immer im Rahmen der Liga in steter Regelmäßigkeit. So jährlich als möglich, reden sie zwei Tage lang aneinander vorbei – wie erst jüngst in Tunis. Derartige Treffen sind ein Erbteil des 1970 gestorbenen arabischen Nationalisten Nasser.

Aber Nasser hat der arabischen Welt noch etwas anderes hinterlassen: Ein Land, Ägypten, das Nassers Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten in einen Abgrund gewirtschaftet haben, der tiefer liegt als das Tote Meer. Eine Unzahl Ägypter musste ihr Land verlassen, um im Rest der arabischen Welt Arbeit zu suchen. Allein in Jordanien kruschteln gut 500.000 Ägypter vor sich hin – als Pflanzenverkäufer, Tagelöhner, Kellner oder als Ägypter für alles. Kaum ein größeres Haus, das nicht von einem ägyptischen „Haaris“-Hauswart betreut wird. Kein Wunder, dass es allenthalben heißt, Nasser habe nur darauf gedrängt, dass die Grenzen zwischen den arabischen Staaten fallen, damit die Ägypter besser in den Nachbarländern Arbeit suchen können. Das sei heute der wahre Nasserismus.

Der Haariswart, der für das Haus zuständig ist, in dem auch ich mit meinem Klein-Clan wohne, heißt Saad. Er tauscht durchgebrannte gegen heile Glühbirnen aus und wäscht einmal in der Woche mein Auto. Dabei ist er im Gebrauch der Wassermengen ebenso großzügig wie beim Reinigen des Gartens: Er fegt nicht; er lässt den Gartenschlauch tanzen, während er mit seinen Badelatschen durch die Botanik schlurft. „Viel hilft viel“ – lautet seine Devise, auch wenn er unsere Pflanzen wässert. Kollateralschäden nehmen wir in Kauf. Warum – das erfahren Sie demnächst an dieser Stelle – und das sogar mit Gesang.

BJÖRN BLASCHKE