Zwei Quadratmeter und ein Spind

Sollte es zur Abschiebung der ghanaischen Minderjährigen aus Hamburg kommen, kämen sie ins Waisenhaus Osu Children’s Home in Accra. Eine Ortsbesichtigung

ACCRA taz ■ Gegen Malaria, Afrikas Todesursache Nummer eins, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation Moskitonetze für jedes Bett, zusätzlich regelmäßiges Sprühen von Insektiziden. Manche in den Tropen schwören auf Klimaanlagen, in der Hoffnung, dass die kleinen Stechmücken, die die Krankheit übertragen, bei der Kälte Ruhe geben. Ein starker Ventilator kann auch nicht schaden, um die Insekten von der Haut wegzuwirbeln.

Im Waisenhaus „Osu Children’s Home“ in Ghanas Hauptstadt Accra findet sich nichts dergleichen. Allenfalls die Fliegengitter vor den Fenstern hatten einst die Funktion des Schutzes vor Mücken. Aber viele sind löchrig, einige ganz abgerissen. Fast alle Türen der Schlafsäle schließen nicht richtig. In den Schlafsälen stehen meist je fünf Etagenbetten. Zehn Kinder teilen sich 20 Quadratmeter. Jedes Kind hat einen Spind, groß wie drei Schuhkartons. Für Luftzirkulation sorgen handbreite Schlitze unter der Decke.

„Wir haben hier zurzeit 125 Kinder“, sagt Millicent Nyarko, die stellvertretende Heimleiterin. „Von Neugeborenen bis zu 15-Jährigen finden sich alle Altersgruppen. Fast jeden Tag kommen neue hinzu und andere gehen zu gefundenen Verwandten oder Adoptiveltern.“

Das Gelände des Waisenhauses ist etwa fünf Fußballfelder groß. Fünf ebenerdige Wohneinheiten haben jeweils einen Innenhof. Zwischen den Wohnkomplexen gibt es einen Spielplatz mit Schaukel und Rutsche und daneben ein Basketballfeld aus Beton. In den einzelnen Wohneinheiten – Gemeinschaftsraum, Küche, rund fünf Schlafsäle und Waschräume – leben Kinder von 5 bis 15 Jahren zusammen. Nur die Kleinkinder haben eine eigene Abteilung.

Erzieherinnen sitzen mit den kleineren Kindern im Innenhof und spielen, bereiten Essen zu oder helfen beim Waschen. Von den Kindern wird erwartet, dass sie mit anpacken.

Es ist voll im Osu Children’s Home, aber aufgeräumt. Für genügend Verpflegung und Medikamente sorgt der Staat. Auch einige Spenden erhält das Waisenhaus. Zusätzlich helfen durchschnittlich ein halbes Dutzend freiwillige Jugendliche aus Europa und Amerika mit.

Kinder ab 6 Jahre müssen in die umliegenden Schulen. Lange bleiben die wenigsten Kinder im Osu Children’s Home. „Wir haben kein staatliches soziales Netz, wie man es aus den Industriestaaten kennt“, erklärt ein Beamter des Sozialministeriums. „Unsere sozialen Netze bleiben weiter die Familienstrukturen. Insofern werden auch Waisen wieder in Familien integriert.“

Für das Osu-Waisenhaus bedeutet das, dass die Kinder kaum länger als ein Jahr bleiben. Vizeleiterin Nyarko sagt: „Bei den älteren Kindern finden wir meistens Angehörige. Schwieriger ist es bei den kleinen. Sie werden meistens nach einem halben bis einem Jahr zur Adoption freigegeben.“

Im Fall der vier von Abschiebung bedrohten ghanaischen Minderjährigen in Hamburg wird es zu einer Adoption wohl nicht kommen. Denn die Eltern sind bekannt. Sie leben in Hamburg. Grundsätzlich aber sind das Ministerium und das Osu Children’s Home auf die Ankuft der Kinder aus Hamburg vorbereitet: Sie würden vorübergehend in das Heim kommen, dann würde nach Verwandten gesucht.

Erfolgreich war eine Suche im Vorfeld nicht. Obwohl es zum Beispiel bei den Geschwistern Oppong eine Adresse von Verwandten in Ghanas zweitgrößter Stadt Kumasi gibt, konnten die Familienangehörigen bislang nicht ausfindig gemacht werden. Auch eine andere Kinderpflegestation versuchte vergeblich, Verwandte der beiden Schwestern ausfindig zu machen. Die von der deutschen Botschaft angegebene Adresse schien unvollständig. Die erfolglose Suche scheint die Angaben der Eltern der abschiebebedrohten Kinder zu bestätigen. Sie sagen, es gebe in Ghana keine Angehörigen der Kinder. HAKEEM JIMO