Angelas und Oles Begierde

Das Schlagloch   von VIOLA ROGGENKAMP

Nicht die Sexualität schafft obszöne Abhängigkeiten, sondern die Machtgier

„Der Ole ist ein Guter.“ Vater Achim Freiherr von Beust, 86, in der „Welt am Sonntag“

Die CDU verliert politische Größen, mächtige Männer treten ab: Der Berliner Bordellbesitzer Otto Schwanz ist tot, bestechender Christdemokrat und Busenfreund von Eberhard Diepgen, Berlins Ex-CDU-Bürgermeister. Und der Parteigründer sowie Hamburger CDU-Bürgermeistermacher, Ronald B. Schill, ist nach Aussagen seiner politischen Freunde „völlig neben der Spur“, er müsse davor bewahrt werden, „sein Lebenswerk zu zerstören“, der Mann „braucht Hilfe“, es werde „jedenTag mit ihm telefoniert“, was er von sich gebe, sei „nicht normal“.

Heute entscheidet sich in der Hamburger Bürgerschaft, ob es Neuwahlen geben muss oder ob die CDU mit Schill-Partei und FDP weiter regieren wird, als sei alles vom Besten. Dieses Theater läuft seit zwei Jahren. Ein Stück über dreiste Machtgier und ihre Obszönitäten.

Angefangen hat das überhaupt nicht in irgend jemandes Bett, sondern in jemandes Kopf. Die Frage, wer mit wem wann geschlafen hat, wird in der Politik immer dann gestellt, wenn damit vom eigentlich Gefährlichen abgelenkt werden muss: der Machtgier, die keine Skrupel kennt. Dass ein Senator seine Lebensgefährtin zur Mitarbeiterin mit Pensionsansprüchen machen wollte, dass ein Bürgermeister seinen Busenfreund und Mieter zum Justizsenator gemacht hat, schön ist das nicht. Ungewöhnlich daran ist aber bloß die Abfolge. Öfter läuft es andersherum. Erst die Zusammenarbeit, dann das Vergnügen, dann die Karriere.

Sekretärin, Geliebte, Referentin mit gehobenen Ansprüchen und Pensionsberechtigung. Ging das nicht so jahrelang bei Helmut Kohl? Verkehr ist überall. Geschlechtliche Leidenschaften hat’s im Amt wie anderswo. Politische Abhängigkeit und machtgierige Gefolgschaft sind nicht gebunden an Sexualität. Viel öfter sind sie gerade ein Ersatz für fehlende sexuelle Befriedigung.

Dass Helmut Kohl etwas mit Angela Merkel hatte, ist nicht anzunehmen, obwohl er sie „das Mädchen“ nannte und obwohl sie ihn hinterrücks erstach; selbstverständlich nur im übertragenen Sinne.

Das obszöne Theater, das Ole von Beust in Hamburg spielt, wird von Angela Merkel mit inszeniert, dennoch dürfen wir geschlechtliche Leidenschaften zwischen ihr und dem Hamburger Bürgermeister mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Die Begierde brennt woanders.

Die CDU wollte und sollte in Hamburg an die Macht, vor allem wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Zwar war das Wahlergebnis von Ole von Beust vor zwei Jahren miserabel und lag unter 30 Prozent, doch hatten weder der CDU-Bundesvorstand noch der Hamburger Landesvorstand Skrupel, sich politisch zu vereinigen mit dem sattsam bekannten Schill und einer in dieser Koalitionsfrage nicht weniger skrupellosen FDP.

Mit seiner Entscheidung für den Brandstifter Schill gab sich Ole von Beust, den man bis dahin für bieder halten konnte, als verantwortungsloser Politiker zu erkennen, und mit ihm seine Unterstützerin Angela Merkel. Drei Monate vor der Bürgerschaftswahl 2001 bot von Beust dem Rechtsdemagogen Schill den Posten des Innensenators und die Position des Zweiten Bürgermeisters an und dazu sein Du.

Die Hamburger CDU hat mit dem Segen der Bundes-CDU Ronald Schill erst groß gemacht, sie hat damit dem Stadtstaat und vielen Menschen erheblichen Schaden zugefügt. Dennoch hält nach dem Eklat Ole von Beust der Schill-Partei die Stange. Warum? Um an der Macht zu bleiben. Und Angela Merkel steht hinter ihm. Wo man aber so nett beieinander ist, darf das Guido-Mobil nicht fehlen, FDP-Chef Westerwelle ist bekannt für sein Fingerspitzengefühl bei der Auswahl politischer Helfer.

Die gesamte Schill-Partei, die mit den Le Pens und Haiders gleichzusetzen ist, verdankt ihren politischen Aufstieg nicht einer rechten Wählermehrheit. Das haben die vergeblichen Versuche, sich bundesweit zu etablieren, deutlich gezeigt. Die Hamburger CDU mit dem Segen Angela Merkels und die Hamburger FDP mit dem Segen Guido Westerwelles sind die Wegbereiter dieser Leute. Ehrenvorsitzender Ronald Schill wird weiter Einfluss nehmen, seine Parteifreunde, die sich um seinen augenblicklichen Geisteszustand sorgen, denken politisch nicht anders als er.

Schills möglicher Erpressungsversuch zielte auf von Beusts Homosexualität oder auch nicht, ihn ärgerte die Günstlingswirtschaft, die der Bürgermeister der Schill-Partei verbot und sich selbst genehmigt. Merkel und von Beust jedenfalls kam die Gelegenheit günstig, den unangenehmen Machtmenschen loszuwerden. Und die Gesellschaft ist ja gar nicht mehr so homophobisch. Doch dass dem so ist, danken wir alle zweifelsohne überhaupt nicht der CDU/CSU, auch nicht der FDP und der Schill-Partei, sondern den Grünen und der SPD und vor allem der Homosexuellen-Bewegung.

Hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, dereinst auf dem SPD-Parteitag den Stier bei den Hörnern gepackt, reagiert man nun bundesweit so, als habe sich in Hamburg ein blondes Schaf als Batman zu erkennen gegeben. Dieser Coup geht unmöglich allein auf das Konto von Ole von Beust. Das dürfte auch die Handschaft von Angela Merkel sein, die sich damit in alter Kohl-Manier einen Getreuen gesichert hat.

Angela Merkel will 2006 Kanzlerin werden, dazu fehlt es noch an einer Mehrheit unter den Unions-Ministerpräsidenten, und auf Schritt und Tritt folgt ihr einer, der Ronald Schill nicht nur im Vornamen ähnelt: Roland Koch. Auch einer, der Fremdenhass schürt und ein mehr als fragwürdiges Verhältnis zu Steuergeldern hat. An Roland Koch stört Angela Merkel einzig, dass er gleichfalls Kanzler werden will. Wir dürfen gespannt sein, ob sie ihn zur Strecke bringt.

Ronald Schill hat weiter Einfluss, und seine Parteifreunde denken politisch nicht anders als er

Unterdessen spielt das Hamburger Schmierentheater weiter. Ein Stück wie geschrieben von der ehemaligen Bild-Kolumnistin Dana Horáková, jetzt von Beusts Hamburger Kultursenatorin. Zweiter Auftakt: Achim Freiherr von Beust, 86 Jahre alt, sowie ein Journalist der Welt am Sonntag.

Frage: „Erlauben Eure Exzellenz zu fragen, ob dero Sohn …?“

Achim Freiherr von Beust: „Es ist doch keine Bösartigkeit. Es ist Natur. Ganz einfach. Genetisch. Der Ole ist ein Guter.“

Was haben wir im dritten Akt zu erwarten? Vermutlich die Rettung der Demokratie und der Liberalität durch Ole von Beust und die Schill-Partei in Gegenwart einer schlafkranken Hamburg SPD.

Sollte es so kommen, werden die Wellen der Dankbarkeit abermals hochschlagen. Den Schill ist man los. Die Schills sind geblieben. Salonfähig geworden durch Ole von Beust mit Zustimmung von Angela Merkel. Wer weiß, was aus dieser Verbindung noch werden kann? Mario Mettbach heißt der neue Schill-Führer und Beust-Partner, schlau, massiv, biergemütlich, zupackend. Ein Mann, wie er in jeder Partei zu finden ist. Ein Mann wie gemacht für Angela Merkel. Nicht die Sexualität schafft obszöne Abhängigkeiten, sondern die Machtgier. Die will befriedigt werden und wird nicht satt.