philipp maußhardt über Klatsch
: Mein kurzes Leben als Doppelagent

Was wird nur in meinen Stasi-Akten stehen? Das Schlimmste wäre, wenn es mich gar nicht gegeben hätte

So. Jetzt nur noch rechts unten unterschreiben und die Angaben im Rathaus von Kirchentellinsfurt bestätigen lassen. Dann ab in die Post an die „Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Postfach 218“. Allein schon wegen des langen Namens ist die Gauck-Behörde (jetzt Birthler-Behörde) für Journalisten auf Zeilengeldbasis ein Segen. „Antrag auf Einsichtnahme eines Betroffenen“ lautet das Formular, das ich gestern mit 53 Cent frankiert nach Berlin schickte, versehen mit einem Stoßseufzer: „Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß“ (Rainer Maria Rilke, 1902), es ist Zeit für mich, meine Akten anzuschauen.

Den Ausschlag gaben die „Tagesschau“ vom Mittwoch dieser Woche und das anschließende Nachtprogramm des Westdeutschen Rundfunks. Es war erstaunlich gut aufeinander abgestimmt: erst die Nachricht von Günter Wallraffs Stasi-Verstrickung und dann der James-Bond-Klassiker „Goldfinger“. Gratulation, Herr Programmdirektor! Ich also gleich am nächsten Morgen los, meine eigene Stasi-Akte anzufordern.

Irgendetwas muss da drinstehen. Dazu waren die Treffen zu häufig und für die andere Seite zu kostspielig. Ob sie mich wohl im Kriegsfall unter „vertrauenswürdige Person“ eingestuft haben? Nein, das glaube ich nicht. Aber einen Decknamen haben sie mir doch hoffentlich gegeben. IM „Mäusebussard“ vielleicht oder IM „Kaffeeschnorrer“. Immerhin war ich ein Informeller Mitarbeiter der Stasi, jedenfalls in einem gewissen Sinne und jedenfalls an jenem 21. März 1981 in Leipzig. Die beiden jungen Männer, die an der Haustüre meines Bekannten geklingelt hatten und sich als „Schüler einer Berliner Akademie“ ausgaben, brauchten gar nicht zu sagen, woher sie wirklich kamen. Man roch es und sah es an ihren billigen schwarzen Kunstlederjacken. Ich entschloss mich, mitzu-spielen.

Wir trafen uns am frühen Abend in einem Restaurant in der Leipziger Innenstadt, wobei mich am meisten beeindruckte, dass während der Leipziger Buchmesse, wo normalerweise kein freier Tisch in einem Lokal zu bekommen war, die beiden „Schüler aus Berlin“ nur kurz mit dem Kellner tuscheln mussten, und schon saßen wir an einem diskreten Platz. Sie wollten Informationen über amnesty international, und während ich „Königinpastete mit Kalbsfrikassee“ bestellte, nickte ich mehrmals mit dem Kopf. Spion Maußhardt 007. Ich war geschmeichelt, wie wichtig man mich nahm.

Die Flüge zu den Treffen nach Berlin sollten kein Problem sein. „Kein Eintrag in den Pass“, versprachen meine Lederjacken, „die Tickets kommen mit der Post.“ Wir verabredeten unser nächstes Treffen in der Mocca-Bar, „Palast der Republik“, Berlin, Hauptstadt der DDR, und bestellten nach dem Essen noch einen Kaffee.

Zurück im Westen, saß ich wenige Tage später in einem Zimmer der Reutlinger Kriminalpolizei, Abteilung Staatsschutz. Zwei volle Stunden tippte der Beamte das Protokoll in die Schreibmaschine: „Haben Sie Goldzähne bemerkt? Trugen die Männer Ringe und an welchen Fingern?“ Die beiden Herren vom bundesdeutschen Verfassungsschutz, mit denen ich anschließend im „Café Sommer“ das weitere Vorgehen besprach, hatten eine prima Idee: „Sie fahren von nun an regelmäßig in die DDR und berichten uns anschließend über Ihre Treffen.“ Für die Zusammenarbeit sollte ich Bafög erhalten. Ich hatte die Tasse noch nicht geleert und war schon Doppelagent.

Den ganzen Nachmittag lang träumte ich von einem gefährlichen Leben. Doch am nächsten Morgen, als ein „Herr Schneider“ am Telefon fragte, ob es bei dem Treffen in Berlin bliebe, bekam ich Angst. Ich redete mich mit Terminschwierigkeiten heraus und sagte ab. Ich, Feigling, Maußhardt 08/15.

Noch eine ganze Zeit lang riefen „Herr Schneider“ oder „Herr Müller“ bei mir an und versuchten mich umzustimmen. Da ich gutmütig bin, hätte ich gerne beiden Seiten weitergeholfen, aber ich traute mich nicht. Und Geld war mir noch nicht so wichtig wie heute. Aber heute ruft keiner mehr an. Schade.

Nun steht mir das Schlimmste noch bevor: die Akte. Sie muss ja nicht so dick sein wie die des Günter Wallraff. Aber ein paar Blätter wenigstens. Ein schöner Deckname. Oder eine Charakterisierung, die man den Enkeln vererben kann wie einen Orden aus dem 70er-Krieg. Nur nicht nichts. Das wäre kränkend. Als hätte es mich nicht gegeben.

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