Albaner in Mazedonien wieder auf der Flucht

Sicherheitskräfte gehen gegen Albanerarmee vor. Die wirft der Regierung in Skopje terroristische Anschläge vor

SARAJEVO taz ■ Nach zwei Jahren relativer Ruhe nehmen die Spannungen in Mazedonien wieder zu. Mit einem großen Polizeiaufgebot ließ die mazedonische Regierung die im Nordosten des Landes gelegenen albanischen Dörfer Vaksince und Lojane von der Außenwelt absperren. Die Sicherheitskräfte hätten strategisch wichtige Positionen in der Region besetzt, hieß es aus Skopje. Über 1.200 der insgesamt 2.000 Einwohner der Dörfer sind geflohen.

Anlass für die Aktion der Sicherheitskräfte ist die Aktivität einer albanischen bewaffneten Gruppe, der „Albanische Nationalarmee“ (AKSh), die für mehrere Bombenanschläge und Terroraktionen verantwortlich gemacht wird. In den beiden Dörfern sollen sich das Mitglied der AKSh Avdil Jakupi und 20 seiner Getreuen verschanzt haben. Nach Angaben der Polizei wird die Truppe von rund 100 Dorfbewohnern unterstützt.

Avdil Jakupi wird vorgeworfen, vor wenigen Tagen zwei Polizisten entführt zu haben. Obwohl die Polizisten inzwischen frei sind, setzt die Staatsmacht alles daran, die Kämpfer der AKSh festzunehmen. Die AKSh fordert den Abzug der Sicherheitskräfte aus den von Albanern bewohnten Gebieten Mazedoniens, eine Amnestie für die Rebellen und die Freilassung von „politischen Gefangenen“.

Internationale Organisationen wie die UN-Mission im Kosovo, die OSZE und auch die US-amerikanische Botschaft in Skopje sehen in der AKSh eine „terroristische Organisation“ und stehen hinter dem Polizeieinsatz. Hätte die AKSh unter den Albanern Erfolg und bekäme mehr Rückhalt, würde die gesamte Mission der internationalen Gemeinschaft gefährdet. Deshalb soll laut Angaben diplomatischer Quellen aus Skopje der „Funken ausgetreten werden, bevor der Wald Feuer fängt“.

2001 war es der Nato noch gelungen, die damalige „Nationale Befreiungsarmee“ (UÇK) der albanischen Bevölkerungsgruppe in Mazedonien zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bewegen. Nach mehrmonatigen blutigen Kämpfen legte die UÇK ihre Waffen nieder, Nato-Truppen kamen ins Land, nachdem der UÇK-Führer Ali Ahmeti einem Kompromiss mit den Vertretern der slawisch-makedonischen Mehrheitsbevölkerung schloss.

In dem Vertrag von Ohrid wurde eine Reihe von Verfassungsänderungen festgeschrieben. Fortan sollte die albanische Bevölkerung mehr politische und kulturelle Rechte erhalten. Bei den folgenden Wahlen konnte Ahmeti die meisten albanischen Stimmen gewinnen und trat mit seiner Partei in eine Koalitionsregierung ein. Radikalere UÇK-Mitglieder kritisierten ihn deshalb. Anders als Ahmeti erklärten sie schon bald den Vertrag von Ohrid gescheitert.

Viele der Reformen wurden in der Tat nicht umgesetzt. Die Radikalen fordern deshalb einen Bruch mit der Regierung, sie streben die territoriale Teilung des Landes und langfristig die Vereinigung der albanisch besiedelten Territorien in Mazedonien, des Kosovos und der Republik Albanien an. Da es der Nato 2001 nicht gelang, alle Waffen der damaligen UÇK einzusammeln, ist nun zu befürchten, dass die AKSh sich der versteckten Waffen bemächtigt.

In den albanischen Siedlungsgebieten können nach Einschätzung von Nato-Militärs die kampffähigen Männer, stimmten sie der Strategie der AKSh zu, in wenigen Stunden mobilisiert werden. Die Dörfer Lojane und Vaksince sind ein Symbol für den Widerstandswillen der albanischen Bevölkerung. Sie standen bei den Kämpfen 2001 eine mehr als einen Monat dauernden Belagerung durch, während der die mazedonische Armee massiv Artillerie einsetzte und viele Häuser zerstörte. Dadurch, dass die AKSh die beiden symbolträchtigen Dörfer als Rückzugsort wählte, macht sie deutlich, dass sie die albanische Bevölkerung des gesamten Landes in den bewaffneten Widerstand zwingen will. Sollten die Sicherheitskräfte mit massiver Gewalt vorgehen, könnte die Rechnung der AKSh aufgehen. Verhandlungen wurden vonseiten der Regierung bisher abgelehnt.

ERICH RATHFELDER