Torloses Festgeldkonto

Mit der 2:1-Niederlage bei Aufsteiger Mainz 05 erkennt der HSV seine Schweinehundlosigkeit und verteidigt den letzten Tabellenplatz

aus Mainz TOBIAS SCHÄCHTER

Das vernichtendste Urteil kam von einem Mainzer. „Nach dem Ausgleich haben wir gemerkt, dass es in dieser Mannschaft nicht so stimmt“, erklärte Mittelfeldspieler Jürgen Kramny, der im Satz zuvor noch davon sprach, er habe in der ersten Halbzeit das Gefühl gehabt, gegen diesen HSV chancenlos zu sein.

Diese Einschätzung besaß der 33-Jährige wahrlich nicht exklusiv nach jenen 45 Minuten, die der Aufsteiger gegen den ewigen Erstligisten in seinem ausverkauften Spektakulum Bruchwegstadion geboten hatte. Das 0:1 zur Pause drückte die Überlegenheit der Hanseaten nur vage aus. Es schien so, als spiele ein Uefa-Cup-Aspirant gegen einen überforderten Regionalligisten. Dass am Ende aber Mainz das Spiel mit 2:1 noch zu seinen Gunsten hatte drehen können und der 14. August 2004 somit in die Annalen des Kleinstclubs als das Datum des allerersten Bundesliga-Sieges im allerersten Bundesliga-Heimspiel eingehen wird, geschah dann nicht nur völlig unerwartet; es versetzte die Rheinhessen in einen ekstatischen Jubeltaumel – und stürzte die Hamburger in eine Depression.

Einen „Alptraum“ gar erlebte der sportliche Leiter des HSV, Dietmar Beiersdorfer. Zwei Spiele, null Punkte, Platz 18 in der Tabelle! Fehlstart ist für die ehrgeizigen Ambitionen der Norddeutschen dafür ein Euphemismus. Niederschmetternd vor allem die Lethargie, die die HSVer ergriff, nachdem der eingewechselte Antonio da Silva mit seinen beiden Toren innerhalb von zwei Minuten (51., 53.) die Mainzer auf die Siegerstraße brachte.

Bis dahin reiste der HSV auf dem Ticket der Souveränität, das aber ab da, wie auf Knopfdruck verfiel. Eine Einstellungs- und Willenssache sei dies, analysierte Beiersdorfer, und bestätigte damit Kramny. Enttäuschend, wie wehrlos sich der HSV seinem Schicksal ergab, als die Namenlosen von Trainer Jürgen Klopp plötzlich begannen sich gegen die drohende Niederlage zu stemmen. „Anscheinend haben wir zu wenig Schweinehunde in der Mannschaft“, glaubt Sergej Barbarez, der durch gestenreiches Abwinken den Untergang illustrierte und neben Emil Mpenza als eifrigster Spaziergänger missfiel.

Der Eindruck, der HSV besteheaus einer Ansammlung von Einzelspielern ohne Wir-Gefühl, erfuhr Bestätigung. Über mögliche Neuzugänge wollte Beiersdorfer nicht reden. Auch über den Trainer werde nicht diskutiert, betonte der ehemalige Vorstopper bestimmt. Kleinlaut und ratlos wirkte Klaus Toppmöller. Unverständlich war für ihn, wie seine Mannschaft die Führung durch van Buytens Tor (28.) weder ausbauen noch verteidigen konnte. Toppmöller ging auf Distanz zu seiner Auswahl. Kraftlos in Ton und Gestik analysierte er: „Ich bin mit vollem Herzblut dabei. Das kann ich von meiner Mannschaft heute nicht behaupten.“ Hoffnung sieht er einzig in der baldigen Rückkehr der fehlenden Lauth, Benjamin und Romeo sowie der Verpflichtung neuer Spieler.

Wie verfahren die Situation nach nur zwei Spieltagen schon ist, zeigt der seltsame Auftritt von Bernd Hoffmann. Mit flacher Hand zog der Vorstandsvorsitzende auf der Höhe seines Halses eine schneidende Linie. Verbal wollte er sich am Samstag lieber nicht äußern. Derweil erweiterte sein Kollege aus Mainz feierlaunig die reich gefüllte Schatulle der Bundesliga-Phrasen um ein weiteres Wort: „Festgeldkonten schießen keine Tore“, gab Harald Strutz zum Besten, als er zu möglichen Zukäufen befragt wurde. Angesichts der Alternativlosigkeit auf seiner Ersatzbank und dem 7,5 Millionen-Euro-Erlös aus dem Ujfalusi-Transfer darf der HSV diesen wahren Satz getrost auf sich münzen.