Debatte: Droht der Gleichstellung von Schwulen und Lesben das Roll Back?
: Nicht überall ist Köln

„Von diskriminierungsfreiem Alltag für Homosexuelle kann man auch im Westen nicht sprechen“

Guido Westerwelle ist durch sein „stilles“ Outing nicht zum Held mutiert. Er profitiert vielmehr vom liberalen gesellschaftlichen Klima, das Rot-Grün durch die Gleichstellungspolitik für schwule und lesbische Paare befördert hat. Vorkämpfer wie Volker Beck oder Corny Littmann haben schon seit den Achtzigern vorgemacht, dass bekennend schwule Politiker keinen Karriereknick befürchten müssen.

Viel ist schon ohne das Zutun der FDP erreicht worden: Die homosexuellen Opfer der NS-Justiz sind rehabilitiert worden. Der Diskriminierung in der Arbeitswelt aufgrund der sexuellen Identität müssen Arbeitgeber und Betriebsrat energisch entgegentreten. In der EU-Grundrechtecharta wurde auf deutsche Initiative das ausdrückliche Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung festgeschrieben. Endlich soll auch die Adoption von Stiefkindern möglich werden.

Rot-Grün sorgt mit der eigenen Mehrheit im Bundestag für ein Verlöbnis auch für Schwule und Lesben. Auch die Hinterbliebenenversorgung, das Güterrecht, die Unterhaltsregelungen und die zustimmungsfreien Teile des Bundesbeamtenrechts werden angeglichen. Hier kommt es wegen der rot-grünen Mehrheit im Bundestag auf die FDP nicht an.

Der Lackmustest für Westerwelles Einsatz für homosexuelle Rechte wird aber der neue Anlauf in Richtung Bundesrat in diesem Herbst. Dann geht es um gleiche Rechte für schwule und lesbische Paare bei Einkommens- und Erbschaftssteuer und um die zustimmungspflichtigen Teile des Beamtenrechts. Bisher haben sich rot-gelb oder schwarz-gelb regierte Länder immer gegen Liberalisierungen für Schwule und Lesben ausgesprochen. Es kommt auf Taten an, nicht auf große Worte: Wir warten auf den Paradigmenwechsel in der konkreten Politik.

Aber auch in NRW herrscht nicht Eitel-Sonnenschein. Da geht es einerseits schlicht um Geld: Beihilfe-, Reisekosten- und Trennungsgeldregelungen für Landesbeamte müssen denen für Ehepaare angeglichen werden, denn es gibt keinen Grund für eine Schlechterstellung von Schwulen und Lesben. Aufklärungsprojekte müssen jährlich um Geld kämpfen. Nicht überall ist Köln. Der 16-jährige, der sich heute im ländlichen Raum outen will, trifft häufig auf gar kein Beratungsangebot in seiner Nähe. Bei entsprechender Vernachlässigung droht hier ein Roll-Back. Von diskriminierungsfreiem Alltag für Homosexuelle kann man auch tief im Westen nicht sprechen. Klar, dass die Politik niemandem Toleranz verordnen kann, das wäre absurd. Aber es muss endlich konsequent an allen Schulen in NRW vermittelt werden, dass Homosexualität keine „Verirrung“, sondern eine natürliche Orientierung ist. Zwar ist das jetzt schon offiziell Lehrinhalt. Ob und wie das aber ins Klassenzimmer übertragen wird, ist entscheidend: Politik muss die Umsetzung der Standards einfordern.

Es gibt noch viel zu tun – auf allen Ebenen. Und wenn die Westerwelle-FDP wirklich hilft – umso besser.

BÖRJE WICHERT, Beiratskoordinator Grüne Jugend NRW

KAI GEHRING, Landesvorstand Bündnis 90/ Die Grünen NRW

ARNDT KLOCKE, Landesvorstand Bündnis 90/Die Grünen NRW

SVEN LEHMANN, Vorstandssprecher Grüne Jugend NRW

MARTIN SEBASTIAN ABEL, Landesvorstand Grüne Jugend NRW

FLORIAN BERGER, Beirat Grüne Jugend NRW

MARCEL RASCHKE, Kreisvorstand Die Grünen Bielefeld