Jetzt kommt die Viererbande

Die Regierungen von Deutschland, Japan, Brasilien und Indien wollen mehr Verantwortung für den „Weltfrieden“ übernehmen

von ERIC CHAUVISTRÉ

Als am 26. Juni 1945 in San Francisco die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde, hatte die frisch gegründete Weltorganisation gerade einmal 51 Mitglieder. Der größte Teil der Welt bestand aus Kolonien. Immerhin ein Fünftel der Mitglieder saßen in dem damals elf Staaten umfassenden Sicherheitsrat – nach der Idee der Gründer die einzige Instanz, die über den gezielten Einsatz militärischer Gewalt entscheiden darf.

Heute hat die UNO 191 Mitglieder, der Sicherheitsrat wuchs aber nur auf 15 Mitglieder an. Für nicht einmal acht Prozent der UN-Mitglieder ist in dem Gremium Platz. Der Sicherheitsrat müsse „die Realitäten innerhalb der Staatengemeinschaft im 21. Jahrhundert widerspiegeln“, heißt es daher in einem am Dienstag von Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer gemeinsam mit seinen Kollegen aus Brasilien, Indien und Japan vorgestellten Dokument. Das Papier ist so etwas wie das Bewerbungsschreiben für einen Platz in der ersten Reihe: einen ständigen Sitz mit Vetorecht.

Für Deutschland meldete erstmals 1993 Fischers Vorgänger Klaus Kinkel den Anspruch auf solch einen Sitz an. Im März dieses Jahres legte Gerhard Schröder nach. Im Juli warb Fischer für den Plan auf einer Tour durch Asien. Doch der Zeitpunkt basiert nicht auf einer Berliner Laune. Spätestens seit Kofi Annan bei der Eröffnung der Vollversammlung 2003 eine Reform der Organisation anforderte und dazu eine informelle Kommission einsetzte – im UN-Sprech „Hochrangiger Reformausschuss zu Bedrohungen, Herausforderungen und Wandlungen“ –, nahm die seit einem guten Jahrzehnt geführte Debatte konkrete Formen an. Anfang Dezember will die erlesene Runde ihre Empfehlungen vorstellen. Liegen die Ergebnisse auf dem Tisch, darf das Stühlerücken beginnen – und damit die denkbar heikelste Mission auf dem diplomatischen Parkett am East River.

Der „Wille und die Fähigkeit, wichtige Aufgaben in Bezug auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu übernehmen“, solle das Kriterium für eine ständige Mitgliedschaft sein, heißt es in der New Yorker Erklärung der Aspiranten, die sich gegenseitig selbstverständlich als „legitime Kandidaten für die ständige Mitgliedschaft“ bezeichnen.

„Repräsentativ, legitim und wirksam“ müsse der Sicherheitsrat sein. Aber bedeutet dies, nur militärisch starke Staaten können legitime Mitglieder des Sicherheitsrats sein? Oder bestimmt die Höhe der gezahlten UN-Beiträge die Legitimität des Anspruchs? Und wieso soll sich Argentinien durch Brasilien repräsentiert fühlen, Pakistan durch Indien und Korea durch Japan – wenn sich selbst im integrierten Europa Deutschland nicht durch Großbritannien vertreten lassen will? Nicht zufällig waren die vier Kandidaten nicht in der Lage, einen Aspiranten aus Afrika zu präsentieren.

„Wirksam“, wie von Fischer gefordert, wäre wohl ein möglichst kleines Gremium. Zumindest wenn man den Sicherheitsrat, wie die derzeitige US-Regierung, primär als Legitimationsorgan für Militäreinsätze versteht. Doch mit der Zahl der ständigen Mitglieder muss auch die Zahl der nichtständigen steigen. Bis zu 30 Mitglieder soll das Gremium den unterschiedlichen Vorschlägen zufolge umfassen.

Dennoch ist der Druck groß, bald zu einem Ergebnis zu kommen. Zu viele Regierungen sehen die Legitimität der Organisation bedroht, deren Strukturen aus einer anderen Zeit stammen. Und Kofi Annan, der in zwei Jahren sein Büro im 38. Stock des UN-Sekretariats räumen wird, möchte allzu gerne mit einem historischen Durchbruch aus dem Amt scheiden. Theoretisch wäre als Kompromiss eine ständige Mitgliedschaft ohne Vetorecht möglich. Glücklich wären die neuen Kandidaten damit sicher nicht, aber in der Erklärung der New Yorker Viererbande kommt das Wort „Vetorecht“ nicht vor. Doch auch mit dieser Einschränkung dürfte der Plan vielen dann auf Dauer ausgeschlossenen Staaten zu weit gehen. Selbst unter den EU-Regierungen gibt es schließlich vehemente Gegner der deutschen Bewerbung.

Als Alternative kursiert deshalb der Vorschlag einer quasipermanenten Mitgliedschaft im höchsten Gremium der UN: Statt für nur zwei Jahre, könnten einige Sitze im Sicherheitsrat künftig auch für fünf Jahre besetzt werden. Und die Sperre für die sofortige Wiederwahl könnte ebenfalls entfallen. Aus Sicht Berlins kein attraktiver Plan, weil er die Chancen auf einen permanenten Sitz vergeben würde. Für die UNO aber möglicherweise die einzige Chance, die divergierenden Interessen auszutarieren. Und ganz nebenbei könnte so, durch Rotation unter den großen EU-Staaten, doch noch ein europäischer Sitz entstehen.