tunis trinkt von FLORIAN HARMS
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Ich hatte mich für einen alten Hasen gehalten. Casablancas Cocktail-Bars hatten mich nüchtern gelassen, aus Beiruts Schickimicki-Lounges war ich trockenen Fußes herausgekommen, und auch Kairos Jazz-Clubs hatten mich nicht vom Barhocker gehauen. Aber dann Tunis. Tunis! Trinken in Tunis – das ist ein anderes Kaliber.

Ausgerechnet in Tunesien. Wo man diesen Flecken doch stets zu meiden sucht, um nicht über gebratene Germanen zu stolpern, die, den köstlichen Merguez-Würstchen nicht unähnlich, Schwarte an Schwarte in der Hitze liegen. Aber Tunesien hat auch andere Seiten. Es hat Tunis.

Erleichtert, dass ich nach langer Suche doch noch eine enorm wichtige Flasche Schmieröl für mein rebellierendes Moped hatte auftreiben können, war ich nach Ladenschluss in einer Schenke namens „Rutund Dschadidi“ gelandet. Das heißt so viel wie „Neuer Pavillon“, was aber keine Rolle spielt, weil sich hier sowieso niemand für Kneipennamen interessiert. Hauptsache, es gibt genug Stoff. Ein Mittelmeerwind fegte draußen übers Pflaster, umso wohliger war es drinnen im Dämmerlicht. 30 Gestalten klammerten sich an die brusthohe Theke. Jede von ihnen war volltrunken. Nicht angedudelt, auch nicht beschwipst, nein: hackedicht.

„Da-da-das geht hier so jedn Amd, hicks!“, krächzte der Wirt zur Begrüßung und kippte sich den Bodensatz aus der Pulle eines seiner Kunden hinter die Binde. Ich wünschte wohl bekomm’s, leerte ein Fläschchen, verabschiedete mich und ging.

Nach 100 Metern fiel mir ein, dass ich meine enorm wichtige Flasche Schmieröl im „Neuen Pavillon“ auf der Theke stehen gelassen hatte, also kehrte ich zurück. Die Flasche war weg. Der Wirt hieß mich warten, um den Fall „gl-gleich“ aufzuklären. Also zwängte ich mich wieder zwischen die Zecher an die Theke, die sich ein karamellisiertes Bier nach dem anderen in den Rachen kippten.

Nach zwei Stunden hatte der Wirt begriffen, dass er mich nicht so einfach loswerden würde. Also lehnte er sich zu mir herüber: „Junge!“, schrie er mir ins Gesicht, „Junge! Deine Fl-Flasche is wech! Komm mo-morgen wieder!“ Denn bis verdammt noch mal morgen werde er mir meine verdammte Flasche mit dem verdammten Schmieröl wiederbeschaffen – selbst wenn er dafür das ganze verdammte Tunis auf den Kopf stellen müsse. Die Zechermeute kreischte Beifall: „Jawoll! Ganz Tuuunis, hähähä!“ Derart fürsorglich beruhigt, schritt ich von dannen.

Am nächsten Abend kam ich wieder. Selbstverständlich tat der schurkische Wirt so, als kenne er mich nicht. Entgeistert starrte er mich an, als ich ihn nach meiner enorm wichtigen Flasche Schmieröl fragte, die gestern auf seiner Theke verschwunden war. Mit einem mittelschlimmen Fluch auf den Lippen drehte ich mich um und überlegte, woher ich jetzt das enorm wichtige Schmieröl für mein tatteriges Moped bekommen könne. Da stellte sich mir einer der Zecher in den Weg, zog mich an sich und wollte mir etwas ins Ohr flüstern. Ich aber befreite mich sofort und fauchte ihn an: „Wenn du jetzt sagst, der Stoff hat gut geschmeckt, dann schmiere ich mit dir mein Moped.“ Ohne mich umzusehen, ließ ich die Schenke hinter mir.