Ausgezeichnete Nasen

Zwei Riechforscher, die einst im selben Labor zusammengearbeitet haben, sind mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie geehrt worden. Die beiden US-amerikanischen ForscherInnen Linda Buck (57) und Richard Axel (58) haben Anfang der 90er-Jahre die grundlegenden Arbeiten über die Organisation unseres Riechsystems vorgelegt.

Durch ihre Forschungsarbeiten eröffneten Buck und Axel das Tor zu einem lange Zeit nur wenig beachteten, jedoch durchaus lebenswichtigen Sinn – schließlich können mithilfe von Gerüchen Gefahren wie der Brandgeruch eines Feuers oder ein verdorbenes Essen bemerkt werden.

Bereits zu Beginn der Neunzigerjahre entdeckten die beiden Biochemiker die Grundlagen, die es Mensch und Tier ermöglichen, eine große Vielzahl unterschiedlicher Gerüche zu unterscheiden. So war es den beiden Wissenschaftlern gelungen, eine Familie von mehr als 1.000 verschiedenen Genen zu entdecken, von denen jedes Gen die Bauanleitung für einen einzelnen Geruchsrezeptor enthält. Beim Menschen beansprucht die Genfamilie der Riechrezeptoren immerhin drei Prozent des gesamten Erbguts.

Die fünf Millionen Riechzellen des Menschen liegen in einem Bereich der Nasenschleimhaut, der sich auf einen oberen Teil der Nase beschränkt. Da in jeder Riechzelle nur eine einzige Genvariante aktiv ist, befindet sich auf der Oberfläche einer Zelle ein ganz bestimmter Rezeptortyp. Strömen beim Einatmen verschiedene Duftmoleküle in die Nasenschleimhaut, so kann sich ein Duftmolekül mit einem Rezeptor verknüpfen. Dies löst in der zugehörigen Riechzelle eine Folge biochemischer Reaktionen aus. Zum Schluss strömen positiv geladene Ionen in die Riechzelle hinein und lösen in dieser einen Stromstoß aus, der über den Riechnerv in das Gehirn geleitet wird. Jeder Rezeptor reagiert dabei auf mehrere Duftstoffe, und umgekehrt erregt jeder Duftstoff mehrere Arten von Rezeptoren. Dadurch ergibt sich für die Weiterleitung der Duftinformation eine große Vielzahl von Varianten: Werden unterschiedliche Kombinationen von Rezeptoren aktiviert, nimmt das Gehirn einen ganz charakteristischen Duft wahr – ähnlich wie eine Folge von Buchstaben ein bestimmtes Worte ergibt. Dadurch kann der Mensch mit seinen 350 aktiven Genen etwa 10.000 verschiedene Gerüche unterscheiden.

Seit ihrer gemeinsamen Arbeit, die 1991 veröffentlicht wurde, forschten Buck und Axel unabhängig voneinander weiter an der Aufklärung der Wahrnehmung und Verarbeitung von Gerüchen. Linda Buck, die jetzt am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle forscht, legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit in die Wahrnehmung von Gerüchen. Richard Axel ist Professor für Biochemie am Howard Hughes Medical Institute der Columbia University in New York und erforscht die Verarbeitung von Geruchsinformationen im Gehirn.

Mit dem diesjährigen Medizinnobelpreis wurde einer wichtigen Sinnesempfindung endlich die ihr zugehörige Beachtung geschenkt. Schließlich wurde das Riechen lange Zeit als „niederer“ Sinn eingestuft, wohingegen Sehen und Hören als die „höheren“ Sinne des Menschen galten. Wahrscheinlich ist dies einer der Gründe dafür, dass die Prozesse in Auge und Ohr schon seit längerer Zeit bekannt sind. Was allerdings in der Nase beim Riechen geschieht, war bis zu den Forschungsarbeiten von Buck und Axel weitestgehend unbekannt.

Dabei ist Riechen eine Fähigkeit, die für fast jede Spezies überlebenswichtig ist. Denn Gerüche warnen vor Gefahren und helfen bei der Orientierung. Sie können starke Gefühle hervorrufen und sind in der Lage, die Bindung zwischen Mutter und Kind oder die Wahl eines Partners zu beeinflussen. Ohne dass es uns bewusst ist, bestimmen Düfte unser Dasein ein Leben lang.

CLAUDIA BORCHARD-TUCH