Was die Welt zusammenhält

Den diesjährigen Nobelpreis für Physik erhalten die drei US-Amerikaner David Gross (63), David Politzer (55) und Frank Wilczek (53). Dem Forschertrio gelang es, eine besondere Eigenschaft der so genannten starken Wechselwirkung zu entdecken. Sie ist eine der grundlegenden Naturkräfte, die nach den Vorstellungen der Teilchenphysiker die Welt zusammenhalten.

Bereits zu Beginn der Siebzigerjahre beschäftigten sich David Gross (University of California in Santa Barbara), David Politzer (California Institute of Technology) und Frank Wilczek (Massachusetts Institute of Technology) mit der starken Wechselwirkung, die erklärt, was die Bausteine von Atomkernen beieinander hält.

Atomkerne sind aus Protonen und Neutronen aufgebaut, und diese wiederum bestehen aus den noch kleineren Quarks, die sich nach bisherigem Wissen nicht weiter teilen lassen.

Quarks haben einige seltsame Eigenschaften: Sie besitzen eine elektrische Ladung, die entweder einen Wert von – [1]/3 oder + [2]/3 der Ladung eines Protons annimmt. Zudem können Quarks besondere nicht elektrische Ladungen aufnehmen, die als rote, grüne und blaue Farbladungen bezeichnet werden. Schließen sich Quarks zu einer Gruppe zusammen, so heben sich die Farbladungen der Quarks gegenseitig auf. So besitzen die drei Quarks eines Protons unterschiedliche Farbladungen, die zusammen die Gesamtfarbladung „weiß“ oder „neutral“ ergeben.

Genauso wie elektrisch geladene Teilchen sich gegenseitig anziehen oder abstoßen, bestehen auch zwischen farblich geladenen Teilchen Wechselwirkungen. Außerhalb eines Atomkerns kommt ein Quark nie alleine vor, sondern nur in Zweier- oder Dreiergruppen. Dies erschien seltsam, da sich die Quarks innerhalb eines Protons beinahe wie freie Teilchen bewegen.

Lange Zeit nahm man an, dass es nicht möglich sei, eine mathematische Theorie zu entwickeln, die all diese Phänomene zu erklären vermag. Im Jahre 1973 veröffentlichten die drei Wissenschaftler jedoch zwei Aufsätze in der Fachzeitschrift Physical Review Letters, in denen das seltsame Verhalten der Quarks erklärt wurde. Entsprechend diesem Modell wird die Stärke der Farbwechselwirkung und damit die Anziehungskraft zwischen den Quarks umso geringer, je näher sich die Teilchen kommen – als seien die Quarks durch ein Gummiband miteinander verbunden: Sie haben viel Freiheit, wenn sie beieinander liegen. Zieht man jedoch an einem einzelnen Quark, steigt der Widerstand mit zunehmendem Abstand so stark an, dass kein Quark aus dem Verband ausbrechen kann. „Asymptomatisch“ nannten die drei Wissenschaftler diese begrenzte Freiheit der Quarks.

Erst mit der Entdeckung der asymptomatischen Freiheit gelang es, die Wechselwirkungen zwischen den Quarks bei geringem Abstand zu berechnen. Die Arbeit von Gross, Politzer und Wilczek war die Grundlage der so genannten Quantenchromodynamik, eines theoretischen Modells, durch das das Verhalten von Quarks in Atomkernen berechnet werden kann.

Damit war die Voraussetzung geschaffen, die starke Wechselwirkung in Einklang mit den drei anderen grundlegenden Naturkräften zu bringen. Denn so vielgestaltig das Universum auch erscheinen mag – die Physiker unterscheiden darin nur vier fundamentale Kräfte, die das Standardmodell der Teilchenphysik bilden. Neben der starken Wechselwirkung sind dies die Schwerkraft, die Äpfel vom Baum fallen lässt, die elektromagnetische Kraft, auf die Magnetismus, Licht und chemische Reaktionen zurückgehen, und die schwache Kraft, die für eine bestimmte Art des radioaktiven Zerfalls verantwortlich ist.

Mit den Erkenntnissen der diesjährigen Nobelpreisträger ist man dem Ziel, für diese vier Kräfte eine gemeinsame Ursache zu finden, ein ganzes Stück weit näher gekommen. Vielleicht wird man einmal auch wissen, aus welchem Urstoff die tatsächliche Welt besteht und was sie im Innersten zusammenhält.

CLAUDIA BORCHARD-TUCH