Die Kraft im Ersatz

Das Projekt „City of Coop“ zeigt ab heute im Prater alternative Ersatzökonomien aus Rio und Buenos Aires

„Jenseits“, „abseits“, „konträr“ – das sind die Lieblingsbegriffe von Stefan Lanz, Stadtplaner und Kurator bei „ErsatzStadt“. Mit seinem Projekt baute er im Sommer einen Mini-Slum auf ein Podest neben der Volksbühne – und das europäische Stadtvolk konnte besichtigen, wie Menschen in den Barrios oder Favelas von Mexiko-Stadt oder São Paulo ihre Wohnstätten herstellen.

Die aktuelle Veranstaltung unter dem Label ErsatzStadt heißt „City of Coop“, knüpft an die letzte Aktion an und wird heute Abend mit einem Film von Ak Kraak eröffnet. Das Berliner „Kollektiv“ Ak Kraak produziert seit 13 Jahren Videokassettenmagazine und Dokumentarfilme. In seinem Beitrag zum Auftakt von „City of Coop“ zeigt es, wie argentinische Arbeiter eine Fabrik besetzen, um darin zu arbeiten.

Solche Eigenmächtigkeiten sind es, die ErsatzStadt interessieren. „Wir wollen den Blick auf städtischen Alltag jenseits von Europa richten“, erklärt Kurator Lanz. An diesem Wochenende geht es um den in Rio de Janeiro und Buenos Aires: „Tendenziell anarchisches, urbanes Leben abseits hochgradig regulierter Normen“, beschreibt Stefan Lanz diesen anderen Alltag.

Damit aber auch nichtintellektuelles Publikum zum Prater findet, bietet das Programm neben abstrakter Diskussion auch andere Veranstaltungen. So können sich Freundinnen und Freunde der textilen Applikation am Sonnabend mitgebrachte T-Shirts verzieren lassen. Mit Troddeln, Stoffstreifen und Häkelei von kooperativ organisierten Handarbeiterinnen aus einer Favela in Rio de Janeiro.

Wer dieser Tage am Prater vorbeifährt, kann sie durch die Fenster beobachten: Die Frauen der Coopa Roca, zwischen Schneiderpuppen, Haufen aus bunten Stoffresten und Jahrzehnte alten Nähmaschinen. Der Mann im bunten Damenkittel ist Hermann Hiller, „Textilbildhauer“. Er hat die Frauen eingeladen und veredelt mit ihnen Kittelmodelle zu aufregenden Roben.

„Die setzen jetzt nicht einfach um, was ich ihnen sage.“ Hiller ist es wichtig, das zu betonen. Die Damen seien nicht hier, um – wie bisher – den großen brasilianischen Designern Rohmaterial zu liefern. Mit Kolleginnen aus Deutschland lernen sie, selbst Schnitte zu entwickeln. Um schließlich das Etikett Coopa Roca an eigene Modelle heften zu können.

„Uns geht es darum, eine Brücke von der Kooperative zur Kunst und Haute Couture zu schlagen“, sagt Maria Teresa Leal. Sie hat die Kooperative vor über zwanzig Jahren gegründet. Mit fünf Frauen und geschenkten Stoffresten. Heute sind es 120. Nie hat sie staatliche Unterstützung angenommen. Die Firma arbeitet heute wirtschaftlich.

Und was will ErsatzStadt BerlinerInnen mit solchen Beispielen zeigen? Vielleicht, dass nicht nur die Ostdeutschen als die überlebenstechnische Avantgarde einer rauen Welt gelten können. Auch von Stadtrandbewohnern Lateinamerikas kann man lernen, sich kreativ sein Geld zu verdienen. GRIT EGGERICHS

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