Ein großer Schluck für Amerika

Das wahrscheinlich beste Bier Syriens feiert Geburtstag. Jetzt lockt der US-Markt

„Hier geht keiner raus, bevor er nicht drei Flaschen getrunken hat“

Es ist viertel nach neun am Morgen, und Wahid Akacheh nimmt die erste Flasche Bier aus dem abschließbaren Kühlschrank neben seinem Schreibtisch. Wenn Gäste kommen, die sich für die Brauerei interessieren, dann müssen sie – pffft! macht der Kronkorken – selbstverständlich erst mal das Produkt kosten. „Hier geht keiner raus, bevor er nicht drei Flaschen getrunken hat“, stellt der Mann mit dem gepflegten Schnauzbart klar. Ihm selbst reichen fünf Schlucke aus Höflichkeit, schließlich muss er heute noch 20 weitere Flaschen testen. „Saha! Wohlsein!“

Herr Akacheh regiert ein Reich mit 131 Angestellten, darunter sogar drei Braumeisterinnen, unzähligen bunten Flaschen und – nicht zu vergessen – fünf Millionen Litern Bier im Jahr. Der Produktionsdirektor der Barada-Brauerei in Damaskus hat im zwar sozialistisch angehauchten, aber überwiegend muslimischen Syrien nicht gerade einen Allerweltsjob. „Es gibt keine Proteste religiöser Gruppen gegen uns“, versichert der Chef, der praktischerweise Mitglied der Regierungspartei Bath ist. Überhaupt spiele Religion beim Bierbrauen keine Rolle. 60 Prozent seiner Angestellten seien Frauen und viele von ihnen seien – wie er selbst – muslimisch. Wer wolle, der trinke. Wem es sein Glaube verbiete, der enthalte sich eben.

Enthalten? In einer Brauerei? Zwar prangt über dem Eingang zur Flaschenabfüllung in großen Lettern „Allahu akbar“, die rituelle muslimische Gebetsformel, doch innen rattern die braunen, grünen und weißen Flaschen verlockend in Augenhöhe auf Fließbändern vorüber. Frauen mit Kopftüchern überprüfen die stark variierenden Füllhöhen, ein Ingenieur drückt den Gästen auf Geheiß des Chefs die zweite Flasche Barada in die Hand. „Saha! Wohlsein!“ Jetzt wird es aber Zeit, sich umzusehen. Die in den Ecken gestapelten Kästen sind sogar noch bunter als die Flaschen.

„Das kommt daher, dass die Bürokraten in der Verwaltung uns mal dieses, mal jenes Material zuteilen“, sagt der Chef entschuldigend. Entscheidend ist der Inhalt, und der kann sich schmecken lassen. Hat man sich erst einmal an die auffallende Süße der zugesetzten Gerste gewöhnt, fällt der mit 3,5 Prozent vergleichsweise niedrige Alkoholgehalt gar nicht mehr auf. Eisgekühlt ist das Barada-Bier richtig lecker.

Das scheinen nicht nur die Syrer zu finden, und deshalb haben die Bierbrauer aus Damaskus im Jahr ihres 25-jährigen Jubiläums einen Plan ausgeheckt. Schon länger produziert die 1978 mit tschechischer Technik aus Pilsen erbaute Brauerei über Plansoll und exportiert bescheidene Mengen nach Jordanien und in den Irak. Jetzt aber macht Wahid Akacheh ein Fass auf. Er plant, sein aus deutschem Hopfen, nordsyrischem Malz und südsyrischer Gerste gebrautes Bier in Dosen abzufüllen und in die USA zu liefern. Angriff ist die beste Verteidigung. Wenn es schon politisch nicht klappt, dann wenigstens kulinarisch. Dass die Amerikaner das Barada mögen werden, kann man eingedenk der Gebräue, die sie sich sonst zuführen, getrost annehmen.

Auf einer imaginären weltweiten Qualitätsskala positioniert Akacheh, der sich am liebsten an tschechischem Budvar labt, sein Barada „genau in der Mitte“. Für Amerika reicht das allemal.

Und auch auf dem heimischen Markt zeigen alle Flaschenhälse nach oben. Ausländische Biersorten, die für die meisten Syrer unerschwinglich sind, muss die Barada-Brauerei nicht fürchten. Der einzige Konkurrent kommt aus der nordsyrischen Stadt Aleppo, wo jährlich sieben Millionen Liter Scharq gebraut werden. „Aber unser Barada ist natürlich das beste Bier Syriens“, versichert der Chef, „wir haben nämlich eine bessere Technik und viel bessere Zutaten.“ Am wichtigsten ist das Brauwasser aus der Quelle des Barada-Flusses, des Namensgebers des Bieres.

Seit 1985 sorgt Herr Akacheh Tag für Tag dafür, dass die syrischen Bierliebhaber nicht enttäuscht werden. Für sein Produkt werben darf das Staatsunternehmen nicht, Alkoholwerbung ist in Syrien aus Rücksicht auf die muslimische Bevölkerungsmehrheit verboten. „Das macht aber nichts, wir haben unsere Kundschaft“, ist der Chef sich sicher und reicht den Gästen, inzwischen wieder in seinem Büro, die dritte und letzte Flasche über den Schreibtisch. Also noch mal: „Saha! Wohlsein!“ Auf die durstige Kundschaft in Übersee! FLORIAN HARMS