„Die Kommission hat nicht ausreichend recherchiert“

Anwalt Wolfgang Kaleck, der den überlebenden argentinischen Mercedes-Betriebsrat Hector Ratto vertritt, lässt sich von dem Tomuschat-Gutachten nicht beirren. Er klagt weiter

taz: Das Gutachten, das Christian Tomuschat in Stuttgart vorgestellt hat, hält das Gros der Vorwürfe an Mercedes-Benz und die damalige Unternehmensführung für widerlegt. Sie auch?

Wolfgang Kaleck: Nein. Auf Grundlage der Recherchen von Gaby Weber bin ich den Vorwürfen selbst nachgegangen und habe 1999 bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Haftbefehl gegen den Produktionsleiter Juan Tasselkraut beantragt. Maßgeblich dafür waren die Aussagen von Hector Ratto, der die Folterhaft überlebt hat. Die argentinische Justiz hält Ratto im Übrigen für glaubwürdig. Es wundert mich, dass Tomuschat das anzweifelt.

Er ist aber nicht der einzige. Immerhin begründet auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg die Einstellung des Verfahrens gegen Tasselkraut damit, Ratto sei der einzige Belastungszeuge und er habe widersprüchliche Aussagen getätigt.

Sie spielen auch auf den angeblichen Widerspruch zwischen den Aussagen damals und heute an, eine These, die DaimlerChrysler in die Welt gesetzt hat. Wir haben bereits mehrfach klargestellt, dass die frühere Einlassung keine protokollierte Aussage in einem Vernehmungsprotokoll ist, sondern lediglich die Abschrift einer schwer verständlichen Tonbandaufnahme. Die ist nur von begrenztem Wert.

Aber die Staatsanwälte sagen doch vor allem, dass Hector Ratto der einzige Belastungszeuge sei.

Ja und! Wie viele Prozesse haben wir täglich hier in Berlin-Moabit, bei denen es nur eine einzige Aussage gibt? Und warum sollte die Aussage eines Überlebenden der Folterhaft nicht ausreichen, um eine Anklage zu erheben?

Christian Tomuschat ist als ehemaliger Vorsitzender der guatemaltekischen Wahrheitskommission und Völkerrechtler in der Menschenrechtsszene sehr anerkannt. Wie ist es zu erklären, dass er zu Schlüssen kommt, die nicht in dieses Bild passen?

Es wurde eine Kommission ernannt – aber die bestand dann nur aus einer Person. Und diese Person ist eben ein deutscher Völkerrechtler, nicht jemand, der vor Ort arbeitet und die Verhältnisse kennt. So jemand braucht Zuarbeit und er muss viele Gespräche führen. Das hat er offenbar nicht in ausreichendem Umfang getan.

Mit Verlaub: Das klingt, als ob die Kritik in dem Augenblick sehr grundsätzlich wird, wo Ihnen das Ergebnis nicht gefällt.

Nein. Seit wir gehört haben, wie die Gespräche in Argentinien verlaufen sind, haben wir geahnt, was nun herauskommt. Denn ab dann war klar, dass offenbar auf eine sorgfältige Recherche verzichtet wurde, warum auch immer.

Wie geht es jetzt weiter?

Gegen die Einstellung des Tasselkraut-Verfahrens werde ich Beschwerde einlegen und dabei auch auf das Tomuschat-Gutachten eingehen. In den USA ist im Übrigen eine umfangreiche zivile Sammelklage gegen DaimlerChrysler in Arbeit. INTERVIEW: BERND PICKERT