Village Voice
: Mit André Herzberg nach dem Ostrock suchen und dabei als junger Westmensch zu viel kriegen

André Herzberg „Losgelöst“ (Dunefish/Edel), Konzert heute um 22 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97

Ostalgie ist, für die spaßfixierten westdeutschen Hobby-Geschichtsklitterer meiner Generation jedenfalls, die Begeisterung für den Trash vergangener DDR-Zeiten, in die wir als Kinder abseits der Transitstrecken kaum Einblick hatten. Im Osten ist manchem die Erinnerung an die hübschen Kleinigkeiten im real existierenden Sozialismus dagegen ernst, und wenn die Verwandtschaft von ex-drüben ihre alten Ostrock-Platten mitbringt, die sie zum Teil immer noch hört, gefrieren dem West-Mittzwanziger die Gesichtszüge. Bis auf die Puhdys, die in „Sonnenallee“ waldschratmäßig ihren Drachen steigen ließen, ist keine Band mit DDR-Wurzeln ins gesamtdeutsche Kulturgedächtnis gelangt. Karat? City? Schon mal gehört, fürs Namedropping reicht es. Immerhin kannten schon meine Eltern (BRD) zu Zeiten der Ostverträge ein paar ostdeutscher Singer/Songwriter, die entweder, wie Biermann, schon lange vor dem Mauerfall politisch sangen oder, wie Nina Hagen, zu kosmisch waren für die Mumien des ZK. Entsprechend früh wurden sie bekanntlich ausgebürgert oder verließen den Osten, um im Westen weiterzusingen. Andere, und jetzt kommt endlich André Herzberg ins Spiel, rockten zwar zwischen Rostock und Zittau die Mehrzweckhallen und bekamen wahrscheinlich Pioniertücher auf die Bühne geschmissen, fielen aber nicht durch regimekritische Texte auf – für Herzbergs Band „Pankow“ galt das bis 1988, als sie den Song „Aufruhr in den Augen“ aufnahm, der der Zensur aber nicht übel aufstieß. Prägend für eine ganze Generation waren Herzberg und andere, so wie vielleicht Grönemeyer oder Westernhagen für einen Teil der 1980er-Westjugend. Ähnlich wie sie hört auch Herzberg nicht auf, Platten zu produzieren, und ähnlich wie sie ist Herzberg mit seinen Fans gealtert. Seine Lieder wirken auf jüngere Hörer wie mich vor allem peinlich. „Losgelöst“ heißt sein neues Album, und dieser Zustand mag für Freiheit – nicht zuletzt die künstlerische – stehen. Die sei ihm gegönnt, aber das Album ist überwiegend schlimm. Die meisten Lieder machen aggressiv, die nölenden Melodien nehmen einem die Lust, sich den Texten zu widmen, und wenn man es tut, macht deren affirmative Zugänglichkeit die Suche nach tieferem Sinn zwecklos. Klischee reiht sich an Klischee, die Assoziationswege sind allzu ausgelatscht: Auf Losgelöstsein folgt Fliegen, auf Fliegen eine neue Welt. Erst in der zweiten Hälfte der Platte kann man sich mit einem Song halbwegs anfreunden, und das wohl deshalb, weil man mehr und mehr abstumpft. Dass das Stück „Melancholie“ zu Beginn toll klingt, liegt an der aus dem Beatles-Song „Across the Universe“ geklauten Anfangssequenz. Die meisten Songs hätten Potenzial, etwa die sozialkritisch gemeinten „Für den Erfolg“ und „Noch Isses Nich So“, aber stets taucht etwas Nervtötendes darin auf – mal eine platte Phrase, mal ein deplatzierter Herrenchor im Hintergrund. Herzberg-Fans mögen das hier für einen frustriert hingewichsten Westschnösel-Verriss halten. Sei’s drum. Bei allem Respekt vor den musikalischen Verdiensten Herzbergs und dem Genre Ostrock: Die Platte tut wirklich weh.

DANIEL KASTNER