Jukebox

Ich mag dich einfach nicht mehr so

Vier großartige Alben haben Tocotronic gemacht und waren damit die Stimme aller Jungmisanthropen im Land. Die man hörte, wenn man sich, von denen da draußen genervt, zum Kiffen und Leute-scheiße-Finden in den Fachschaftsraum zurückzog. Die mit Trainingsjacken, Casio-Uhren und Unfrisuren unfreiwillig modische Vorbilder wurden. Die sich zum Aushängeschild für die Hamburger Schule entwickelten, und an denen sich alles messen lassen musste, was deutsch sang und sich für alternativ hielt. Deren Songtexte fast ohne Ausnahme als T-Shirt-Zitate funktionierten. Die auf ihren Konzerten den Pogo entfachten und dabei demonstrativ cool blieben, die ihre Songs abbrachen, wenn im Publikum mitgeklatscht wurde.

Dann erschien „K.O.O.K“, und seitdem ist alles anders. Auf besagter Platte fanden sich noch ein, zwei Songs alten Zuschnitts. Der Rest verlor sich in elitärer Abstraktion. Langjährige Fans dagegen erkannten die Tocos nicht wieder: Plötzlich trugen sie schwarze Anzüge statt Kordhosen. Auf Konzerten wird sich neuerdings nach jedem Song artig für den Applaus bedankt, und das Publikum, das nach den alten Krachern lechzt, lassen sie am langen Arm verhungern. Da wird „Die Welt kann mich nicht mehr verstehen“ allenfalls als kokette Referenz an vermeintliche Jugendsünden angestimmt, aber insgesamt sprechen Band und viele ihrer älteren Fans nicht mehr dieselbe Sprache.

Für Januar haben die mittlerweile vier Herren ihre siebte Platte namens „Pure Vernunft Darf Niemals Siegen“ angekündigt. Die bislang im Internet verfügbaren Informationen darüber lassen eine Fortsetzung der Metamorphose vermuten. Wer also noch immer den alten Tocos nachhängt, der legt sich wahrscheinlich auch in Zukunft besser die alten Platten auf. Für die Zurückgelassenen bleibt wenigstens die Disco mit Independent-Tag. DANIEL KASTNER