Zu Fuß durchs wilde Berlin

500 Kilometer so genannte grüne Wege hat eine Initiative in Berlin erwandert. Sie sollen jetzt zu zwanzig Hauptwegen verbunden werden. In diesem Umfang ist das einzigartig für eine Großstadt

VON TORBEN IBS

Es ist grau und kalt an diesem Dezembermorgen auf der Admiralsbrücke in Kreuzberg. Hier am Landwehrkanal verläuft einer der so genannten grünen Berliner Hauptwege. Mit grün bezeichnet Eva Epple Strecken, die abseits von Straßen verlaufen und auf denen Menschen in Ruhe spazieren gehen können. Seit November vergangenen Jahres hat sie 20 Strecken mit einer Gesamtlänge von 500 Kilometern dokumentiert – alles auf Berliner Stadtgebiet. Seit Jahren schon bewegt sie sich nur zu Fuß und mit dem Rad durch die Stadt. Sie möchte mit den 20 Wegen die Berliner auch animieren, diese Fortbewegungsmöglichkeiten stärker zu nutzen.

Sie geht los, der Boden ist mit Steinen gepflastert, links erstreckt sich der Urbanhafen. „Versiegelung ist auch so ein Thema. Ziel müsste es sein, gerade auf den grünen Wegen so viel wie möglich unversiegelt zu lassen“, erzählt die 52-Jährige. Zum einen, damit der Fuß ungewohnte Eindrücke in der ansonsten eingeebneten Stadt erhalte; zum anderen, weil die Versiegelung auch Käfer oder Regenwürmer behindere und die Pflasterung so in das Ökosystem eingreife.

Sie kommt an die Prinzenstraße, die diesen grünen Weg jäh unterbricht. Hier gibt es zwar eine kleine Verkehrsinsel zwischen den beiden Fahrspuren, aber ein deutlicher Übergang zur anderen Seite fehlt. „Es müssen Konzepte überlegt werden, um die einzelnen Stücke miteinander zu verbinden“, findet Epple. Sie sieht gerade in der Unterbrechung durch Straßen ein großes Problem, das aber oft mit geringem Aufwand beseitigt werden kann. In diesem Fall genüge ein Zebrastreifen – zudem eine äußerst kostengünstige Lösung.

Sie kehrt um. Eva Epple möchte noch weitere Teilstücke des so genannten Tiergartenrings präsentieren. Sie selbst ist die Wege nicht abgelaufen; das haben 70 ehrenamtliche Flaneure besorgt. Sie haben über die verschiedenen Abschnitte Protokolle angefertigt, die die Kreuzbergerin jetzt auswertet. Die Grundlage für diesen Plan lieferte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die in ihrem gesamtstädtischen Planungskonzept diese grünen Wege vorsieht. Die Ergebnisse der Flaneure sollen nun wichtige Anstöße zur Umsetzung der Idee liefern. Der Abschlussbericht wird den Bezirken Handlungsvorschläge präsentieren, mit welchen konkreten Maßnahmen aus den grünen Wegen ein echtes Wegenetz werden kann.

Die nächste Etappe der Begehung beginnt auf dem Grünstreifen zwischen Segitzdamm und Erkelenzdamm. Nach einigen hundert Metern steht eine kleine Brücke ziemlich verloren herum. „Hier ist schon mal investiert worden, nun gilt es das Ganze neu zu aktivieren“, erzählt Epple und wickelt sich ihren Schal fester um den Hals, der bereits von einem anderen Schal geschützt wird. Dann geht sie weiter, ihre schwarze Mütze wippt im Takt der Schritte.

Es folgt ein großer runder Platz. „Vor einigen Tagen habe ich einem Jungen zugeschaut, der hier Tricks mit seinem Fahrrad übte. Der war richtig gut und freute sich, dass er mal Publikum hatte.“ Die Aufregung über den Konflikt zwischen Radfahrern und Fußgängern versteht die freie Autorin nicht. Ihrer Meinung nach müssten die grünen Wege auch für Radler offen stehen. Selbst an engen, schwer einsehbaren Stellen passiere eigentlich nichts, sagt sie. Schließlich wüssten alle, dass es dort unübersichtlich werde, und würden sich entsprechend verhalten. Wer mit dem Rad schnell unterwegs sein will, der nutze sowieso die Hauptstraßen, auch wenn hier die Radwege auf der Straße oft ausgebaut werden müssten, wie sie noch anmerkt.

Sie überquert die Skalitzer Straße, ein weiteres Hindernis, wo kein Übergang existiert und auch in Zukunft nicht vorgesehen ist. Vor ihr rennt eine Frau mit Einkaufstüten über die Straße, um nicht vom dicht fließendem Verkehr erfasst zu werden. Auf der anderen Seite steht eine Reihe alter Pappeln, dazwischen Bänke, direkt an der Hauptstraße. „Im Sommer sind sogar die besetzt. Da sieht man mal, an was für Verhältnisse der Mensch sich gewöhnt, wenn er muss.“

Die Mutter zweier Kinder will sich mit diesem Dauerlärm nicht abfinden und sieht in ihren Wegen einen Ausweg aus dem Stadtalltag. Unterstützt wird sie dabei vom „Fuss“-Verein, den Bezirksämtern, dem Bund für Umwelt- und Naturschutz und seit neuestem sogar von der Senatsverwaltung für Verkehr. Die 12.000-Euro-Förderung, die Eva Epple von der Projektagentur Zukunftsfähiges Berlin aus Lottomitteln erhalten hatte, lief im Oktober aus. Eine Verlängerung ist nicht in Sicht. So arbeitet sie wieder komplett ehrenamtlich an dem Projekt.

Synergieeffekte sind entstanden. So plant eine der früheren Flaneurinnen am Moabiter Waldstraßenweg die Installation eines Naturlehrpfades. Neben dem Abschlussbericht, an dem Epple bereits schreibt, fehlen noch Karten mit den Wegen und Informationsbroschüren. Lediglich auf der Homepage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und auf der Homepage des „Fuss“-Vereins (www.fuss-ev.de) können sich Interessierte über den genauen Verlauf der Wege informieren. „Ein solches Wegenetz ist einmalig für eine Großstadt solcher Größenordnung“, betont Epple. Wo die direkten Anschlüsse ans Netz fehlen, sollen so genannte provisorische Strecken, die Straßen einschließen, jene verbinden. Später sollen daraus auch grüne Wege werden – wenn wieder Geld da ist.

Im Februar 2005 veranstaltet die Senatsverwaltung für Verkehr eine Konferenz zu den grünen Wegen. Dabei wird es auch um Fragen wie die Beschilderung gehen. Eva Epple bevorzugt preisgünstige Lösungen. Statt großer Schilder – die sowieso nur beschmiert würden –, stellt sie sich kleine Wegweiser und Markierungen auf Pfählen vor.

Sie ist am Ende ihres kleinen Rundgangs am Engelbecken angekommen. „Dort drüben“ – sie weist auf die Michaelkirche – „haben die Flaneure festgestellt, dass die Wege oft zugeparkt sind. Auch da müsste sich was ändern. Wir müssen den Stadtplan, den die Menschen im Kopf haben, verändern.“

www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/berlin_move/de/hauptwege/index.shtml