Trautvetter guckt in die Röhre – und staunt

Kann das sein? Thüringens Innenminister will von der Überwachung eines Autotunnels nichts gewusst haben

DRESDEN taz ■ Ein halbes Jahr vor der Landtagswahl in Thüringen steckt Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) in Nöten. Vor gerade mal sechs Monaten übernahm der 45-Jährige das Amt von seinem Ziehvater Bernhard Vogel, jetzt bereitet ihm sein wichtigster Minister Schwierigkeiten: Wegen Andreas Trautvetter, dem Innenminister und stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden, musste der Landtag sogar noch zwei Tage vor Weihnachten zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

Nicht zum ersten Mal ging es um das etwas zu groß geratene Auge des Großen Bruders, um den Observierungsfimmel des Thüringer Innenministeriums nämlich. Nach der geplatzten Videoüberwachung auf Weimarer Plätzen, von der Zeitungsredaktionen und eine Anwaltskanzlei betroffen waren, stand nun die Erfassung von Autokennzeichen im Rennsteigtunnel der Thüringer-Wald-Autobahn in der Kritik.

Presseberichte hatten Anfang Dezember darauf hingewiesen, dass an diesem Abschnitt der neuen A71 Überwachungsanlagen installiert werden sollen. Dafür gibt es weder in Thüringen noch in irgendeinem anderen Bundesland eine Rechtsgrundlage, wie die Landes-Datenschutzbeauftragte Silvia Liebaug umgehend betonte. Einen Tag später dementierte Trautvetter ein solches Vorhaben im Innenausschuss des Thüringer Landtages. Eine Erfassungsanlage für Autokennzeichen sei nicht geplant und „mit mir nicht zu machen“.

Bald darauf wurde jedoch bekannt, dass die Kameras für 150.000 Euro bereits installiert sind und der Minister davon Kenntnis haben musste. Schon am 9. September waren beispielsweise 658 Datensätze erfasst worden, die angeblich „unter Verschluss“ bei der Polizei in Suhl lagern. Die PDS-Fraktion beantragte daraufhin eine Landtagssondersitzung und forderte den Rücktritt des Ministers.

Für die Fehlinformation des Innenausschusses entschuldigte sich ein kleinlauter und unsicherer Andreas Trautvetter in der Sitzung ausdrücklich. Von der Hemdsärmligkeit des 48-Jährigen, der zuvor schon zehn Jahre in der Staatskanzlei und als Finanzminister amtierte, war beim tonlosen Ablesen seines Redemanuskripts nichts mehr zu spüren. Offen blieb, ob er den Ausschuss tatsächlich belogen hatte oder in dem geradezu sprichwörtlich von Machtkämpfen und Ressentiments zerfurchten Innenministerium nur schlecht informiert worden war.

Auffällig bleibt indessen Trautvetters naiv-gefährliche Datensammelwut. MDR-Fernsehzuschauer hatten bei einem „Erfurter Gespräch“ bereits erleben können, wie der Minister erst über elementare Grundsätze des Datenschutzes aufgeklärt werden musste.

Im Landtag wetterte jedenfalls Heiko Genzel als Chef der SPD-Opposition in Richtung der CDU-Verteidiger des Ministers: „Mir wird schlecht, wenn Sie das Wort vom Rechtsstaat in den Mund nehmen!“ Die SPD erwägt nun die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. PDS-Rammsporn Bodo Ramelow spielte auf die derzeitigen bundespolitischen Profilierungsabsichten des Ministerpräsidenten an: „Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch!“ Und für die „dickste, fette Maus Trautvetter“ sei es langsam Zeit für die Mausefalle. Althaus aber stellte sich hinter seinen angeschlagenen Innenminister, der sich „nichts vorzuwerfen habe“. Auch Thüringen müsse sich um moderne Fahndungsmethoden bemühen.

Tatsache ist: Althaus steht vor einem Dilemma. Einerseits kann er sich diesen Minister eigentlich nicht mehr leisten, andererseits braucht er ihn – als führenden Kopf im Kabinett, als Repräsentanten der Südthüringer CDU und als Wahlkämpfer.

MICHAEL BARTSCH