Aufgebaut von Überlebenden

SYNAGOGE Sie war einst das zweitgrößte jüdische Gotteshaus in Berlin. Die große Synagoge am Fraenkelufer wurde im Krieg zerstört und vor 50 Jahren wieder aufgebaut. Die Gemeinde fühlt sich wohl im Kiez

Schöne Überraschung: Die migrantische Nachbarsjugend grüßt Kippaträger mit „Schabbat Schalom“

VON JAN SCHAPIRA

„Wir haben keine Probleme, es ist ein freundliches Miteinander“, sagt Gemeindevorstand Michael Joachim über das Verhältnis zwischen der Synagoge und ihren Nachbarn in Kreuzberg. Und doch deutet die ständige Polizeipräsenz vor dem Gotteshaus am Fraenkelufer darauf hin, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist.

Im April vor 50 Jahren wurde die Synagoge neu eingeweiht, aber es ist nur ein kleiner Teil des einstigen Gotteshauses, der noch heute genutzt wird. Durch Bombenangriffe wurde während des Nationalsozialismus das Hauptgebäude der Synagoge weitgehend zerstört. 2.000 Beter hatten in der 1916 eingeweihten Synagoge ursprünglich Platz. Damit war sie nach der Rykestraße das zweitgrößte jüdische Gotteshaus in Berlin. Die Synagoge am Fraenkelufer war Teil eines Gebäudekomplexes, der mit jüdischem Kindergarten, Hort, Wohlfahrtsküche und Winterhilfe ein Anlaufpunkt für die damals 14.000 Juden war, die im südlichen Berlin lebten.

Ruine und Neubau

Während des Novemberpogroms 1938 verwüstete die SA die Synagoge und setzte sie in Brand. Zwar schritt die Feuerwehr ein, beabsichtigte damit aber nur, das Übergreifen der Flammen auf die Nachbargebäude zu unterbinden. Bereits damals war der Hauptbau so schwer beschädigt, dass die Gottesdienste nunmehr in der kleinen Jugendsynagoge abgehalten wurden.

Aufgebaut wurde die Synagogengemeinde nach dem Krieg von deutschen, polnischen und russischen Überlebenden, die sich während der Verfolgungen in Berlin versteckt gehalten hatten oder aus den Konzentrationslagern kamen. Die Ruinen der Hauptsynagoge wurden 1959 schließlich eingerissen und die Jugendsynagoge umfassend instand gesetzt. Am 22. April fand die Neueinweihung statt.

Konservativer Ritus

Bis heute nehmen einige Begründer der Gemeinde sowie deren Kinder und Enkel am Gottesdienst teil. Aber nur wenige der 100 Personen zählende Gemeinde leben noch in der Nähe der Synagoge. Der Großteil der Beter zog im Laufe der Zeit in Bezirke wie Charlottenburg, Schöneberg oder Zehlendorf.

Wenn am Freitag abends der Schabbat beginnt, fahren sie bis zur Kreuzberger Synagoge, weil sie hier im konservativen Ritus beten können. Anders als bei liberalen Gotteshäusern, wie etwa der Zehlendorfer Synagoge am Hüttenweg, findet hier der gesamte Gottesdienst in hebräischer Sprache statt. Außerdem sind die Geschlechter während der Zeremonie voneinander getrennt. Frauen dürfen beim Gottesdienst keine aktive Rolle übernehmen und sitzen an hohen Feiertagen sogar abseits auf der Empore. An hohen Feiertagen ist auch die Polizei mit mehr Einsatzkräften als sonst am Platz. Dabei wird schon zu einem normalen Gottesdienst am freitäglichen Schabbat die Straße durch Polizeiautos gesperrt und unbekannte Personen werden vor dem Eingang kontrolliert.

Gemeindevorstand Michael Joachim beschreibt es einerseits als „beruhigendes Gefühl“, durch die Polizei „vor unangenehmen Überraschungen geschützt zu sein“. Denn in den vergangenen Jahren kam es zu antisemitischen Vorfällen. So wurden der Synagoge die Fensterscheiben mit Steinen eingeworfen und ein Anschlag wurde mit einem Molotowcocktail verübt. Andererseits empfänden die Gemeindemitglieder die ständige Polizeipräsenz oft als bedrückend, sagt Joachim. „Aber die allgemein-gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass man mit allem rechnen muss.“

Immer aufgeschlossen

Es gibt aber auch andere Erfahrungen. Seit vier Jahren nimmt die Synagoge an der „Langen Nacht der Berliner Synagogen“ teil und öffnet ihre Türen für Interessierte. Die Veranstaltung sei immer gut besucht, sagt Joachim. Vor allem Anwohner nutzten die Gelegenheit, um sich ein Bild von der Synagoge zu machen. Die Besucher, unter ihnen auch muslimische Frauen mit Kopftuch, seien „immer sehr aufgeschlossen und interessiert“.

Dennoch nimmt Joachim, wie die anderen Gemeindemitglieder auch, außerhalb der Synagoge seine religiöse Kopfbedeckung ab. Man wolle nicht provozieren und so tun, als habe man keine Angst. Als er aber einmal nach dem Gottesdienst seine Kippa auf dem Kopf vergaß, wurde er von zwei Jugendlichen mit vermutlich türkischem Hintergrund mit „Schabbat Schalom“ gegrüßt. Das habe ihn sehr gefreut, sagt Joachim. Er spricht sich gegen eine pauschalisierende Sicht auf Antisemitismus im migrantisch geprägten Kreuzberg aus.

Auch während der israelischen Militäroperation in Gaza kam es gegenüber der Synagogengemeinde zu keinen Vorfällen. Joachim stört nur die oft „mangelnde Differenzierung“ von Deutschen mit und ohne migrantischem Hintergrund. „Bedauerlicherweise werden wir undifferenziert für die Politik der israelischen Regierung in Verantwortung genommen.“ Die Menschen verstünden nicht, dass Juden in Deutschland keinen Einfluss auf Israels Politik haben.