Neue Flaniermeilen zwischen Tiber und Po

Italiens Bürgermeister sind verzweifelt. Wegen zu viel Feinstaub in der Luft liegt der Verkehr immer wieder still. Dennoch werden Grenzwerte überschritten. Mehr Geld für Bus und Bahn gibt es nicht. Nun greifen manche zur Chemie

ROM taz ■ Von seiner schönsten Seite präsentierte sich Rom gestern: bei strahlendem Sonnenschein, laue 17 Grad – und eine ungewohnte Stille. Doch die hatte einen unschönen Hintergrund: In Rom herrschte wieder einmal Fahrverbot, weil der seit 1. Januar geltende EU-Grenzwert für Feinstaub in der Luft in den letzten Tagen deutlich überschritten wurde.

Statt der erlaubten 50 wurden 75 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Echte Sorgen aber macht der Stadtverwaltung ein zweiter Tatbestand: Von den pro Jahr erlaubten maximal 35 Tagen, an denen der Grenzwert überschritten werden darf, sind in gerade sechs Wochen schon 26 Tage „verbraucht“.

Und Rom ist damit noch nicht einmal Spitzenreiter in Italien. Noch dramatischer ist die Situation im Norden. In Mailand wurden am Freitag 191 Mikrogramm gemessen; die lombardische Metropole erreichte zudem am Samstag die erlaubte Höchstzahl von 35 Ausreißer-Tagen. Diese Latte hat Turin (36 Tage) ebenso schon gerissen wie die im Veneto gelegenen drei Städte Padua, Verona und Vicenza.

Gestern herrschte totaler Verkehrsstopp nicht nur in Rom, sondern auch in Bologna, Ferrara, Mantua, Parma und Ravenna. Binnen weniger Wochen werden alle Groß- und viele Kleinstädte Nord- und Mittelitaliens definitiv gegen die EU-Norm verstoßen haben. Besser ist es nur im Süden – da nämlich wird meist gleich gar nicht gemessen.

Italiens Bürgermeister jedenfalls sind in Aufruhr. Sie fürchten, von der EU ebenso wie von den Staatsanwaltschaften zu Hause zur Verantwortung gezogen zu werden. Schon ermitteln die Justizbehörden in Treviso und in Venedig, während die Florentiner Staatsanwaltschaft von der Stadtspitze Auskünfte über die geplanten Anti-Smog-Maßnahmen angefordert hat. Am weitesten ging bisher Vicenza: Dort verhängte der Bürgermeister ein viertägiges totales Fahrverbot. Die Feinstaubwerte blieben dennoch weiterhin über der Obergrenze – und die Kaufleute rebellierten.

Die Bürgermeister sehen sich von den Regionen und der Zentralregierung vollkommen allein gelassen. Italiens Verkehrsminister Altero Matteoli hat bloß den Tipp parat, sie sollten halt Fahrverbote verhängen – und zugleich protestiert seine eigene Partei Alleanza Nazionale wütend im Stadtrat von Turin, wenn der dortige Bürgermeister tatsächlich zum Verkehrsstopp schreitet oder ein Fahrverbot für die ganze Po-Ebene vorschlägt.

Andere Kommunen setzen auf aus purer Verzweiflung geborene Maßnahmen wie das Besprenkeln der Straßen oder deren Einsprühung mit Chemikalien, die angeblich den Feinstaub am Boden binden sollen. Am Mittwoch sind die Bürgermeister zu einem Krisengipfel beim Umweltminister bestellt. Der wird ihnen erneut erklären, dass Geld für die Verstärkung des öffentlichen Nahverkehrs nicht da ist. Und er wird ihnen mitteilen, dass Besserung in Sicht ist: Auch Italien hat nun vorgeschrieben, dass die Schwefelanteile in Benzin und Diesel deutlich gesenkt werden müssen. Ab 2009.

MICHAEL BRAUN