Die enge Welt der großen Weite

AUS FRANKFURT UND BERLIN SANDRA LÖHR

Früher war alles besser. Das sind so Sätze, die Brigitte Maier nicht mag und die auch gar nicht zu der energischen blonden Frau Ende vierzig passen. Anders war es damals eben, sagt sie und: So ist es eben. Dann lacht sie und versichert gleich darauf: „Aber ich fliege ja immer noch gerne.“

Ein Vorort bei Frankfurt am Main. Ein paar Hochhäuser begrenzen den Horizont. Um den S-Bahnhof reihen sich neu gebaute Reihen- und Mehrfamilienhäuser wie eine mehrfach um den Hals geschlungene Kette: Von hier aus sind es von jedem Haus nur fünf Minuten Fußweg bis zur Station und dann noch einmal eine halbe Stunde Fahrtzeit, bis man beim Flughafen ist. Schön ist es nicht. Aber praktisch. Eine kleine, überschaubare Welt. Und genau deswegen wohnt Brigitte Maier hier in einer Wohnung mit einem großen Balkon. Wenn sie zu Hause ist, braucht sie keine aufregenden Orte, keine Restaurants oder schöne Geschäfte. Brigitte Maier ist Stewardess bei der größten deutschen Fluggesellschaft, der Lufthansa. Die feiert an diesem Freitag ihr 50-jähriges Jubiläum und Brigitte Maier in diesem Jahr ihr 25-jähriges bei der Lufthansa. Es sind 25 Jahre in ihrem Traumjob, aber auch 25 Jahre, in denen der Beruf in einer nüchternen Wirklichkeit aus Kosten und Passagierzahlen angekommen ist. Damit hat es vielleicht zu tun, dass sie vorsichtig ist und nur mit geändertem Namen in der Zeitung auftauchen will, obwohl sie bloß vom Alltag einer Stewardess erzählen soll.

Vom Traumberuf …

Sie hat viel gesehen von der großen weiten Welt. Sie kennt Neu-Delhi, Peking, Los Angeles und Karatchi, und wenn sie Zeit hat und nicht zu müde ist, kann sie dort einkaufen gehen und ins Restaurant. Da reicht ihr diese Schlafstadt in der Nähe des Rhein-Main-Flughafens.

Brigitte Maier hat 1980 mit dem Fliegen angefangen. Da war sie Anfang zwanzig. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hannover, und ihre Familie hatte damals andere Sorgen als den Traum von der großen weiten Welt. Fünf Kinder waren sie, die Eltern hatten einen Bauernhof und weggefahren sind sie nie. „Ich bin eine echte Landpomeranze“, sagt Brigitte Maier und lacht. Als Kind hat sie immer vom Reisen geträumt, aber das war einfach nicht drin. „Ich bin so was wie das schwarze Schaf der Familie, von meinen Geschwistern war bis heute keiner weiter weg als in Italien.“

Vielleicht ist es die Gewissheit, der engen kleinen Welt entflogen zu sein, warum sie immer noch gerne als Stewardess arbeitet, obwohl die große weite Welt für sie in den letzten Jahren immer mehr auf wechselnde Flugzeuge, Terminals und Hotelzimmer zusammenschrumpft ist. Als sie nach dem Abitur beschloss, es bei der Lufthansa zu versuchen, sagte ein Lehrer: „Was, du willst Kellnerin der Lüfte werden?“

Aber Brigitte Maier sah die Sache anders. Stewardess, und das noch bei der Lufthansa, das hieß damals vor allem Reisen, Abenteuer, ein bisschen Glamour und vor allem die Eintrittskarte in eine Welt, in die sie sonst nie Zugang gefunden hätte. Schließlich war der Job gar nicht so einfach zu bekommen. Damals brauchte man als junge Frau noch Abitur, musste zwei Fremdsprachen sprechen, Idealgewicht haben und mindestens 1,70 Meter groß sein. Heute reichen vielen Fluggesellschaften ein Realschulabschluss und etwas Englisch, um Touristengruppen nach Mallorca oder die Kanarischen Inseln zu verladen.

Als sie nach dem Vorstellungsgespräch und einem psychologischen Test, der sie auf Belastbarkeit prüfte, eingestellt wurde, ging ihr erster Flug gleich nach Nassau auf die Bahamas, wo sie vier Tage frei hatte. Dann ging es nach Peking, und weil damals nur einmal in der Woche eine Maschine die Strecke Deutschland–China flog, durfte die Crew eine Woche Ferien in der Kaiserstadt machen. So war das damals.

So ist es heute nicht mehr. Nicht nur für die Flugbegleiter, sondern auch für die Passagiere. „Vor 20 Jahren war Fliegen noch ein Erlebnis. Das hatte damals eine ganz andere Aura. Da wäre nie jemand in Badelatschen an Bord gekommen.“ Fliegen ist für die meisten heute so selbstverständlich wie Busfahren. Und wenn Brigitte Maier von jüngeren Kolleginnen und Kollegen von Fluggesellschaften spricht, die für neun, 19 oder 29 Euro ihre Tickets im Internet verkaufen, dann wundert sie sich, warum die sich zwischen Massenabfertigung, immer kürzeren Boden-Stopps und immer weniger Bezahlung nicht einen anderen Job suchen. „Da hat sich das Berufsbild wirklich auf das Halten eines Tabletts reduziert“, sagt sie und dass sie heute, stünde sie vor der Wahl, wohl einen anderen Beruf wählen würde.

Denn längst ist es am Himmel enger geworden. Seit Einführung der „Low Cost Carrier“, der Billigflieger, hat ein harter Verdrängungswettbewerb in der Branche begonnen. Die Gewinne der europäischen Marktführer Ryanair und Easyjet sind in den vergangenen Jahren explodiert. Die deutsche Air Berlin verbuchte letztes Jahr ein Passagier-Plus von 25 Prozent. Andere Fluggesellschaften, verstärkt durch Terrorängste, Irakkrieg, Vogelgrippe und den steigenden Ölpreis, machten Verluste.

Auch Brigitte Maiers Arbeitgeberin hat reagiert. Die Lufthansa, die die Billiggesellschaften am Anfang noch als Igitt-Geschäft ohne Zukunft betrachtete, hat auf die veränderte Situation am Himmel mit Rationalisierungsmaßnahmen reagiert. Die Zeiten, in denen eine ganze Woche zwischen den Flügen liegt, sind schon lange vorbei. Heute haben Flugbegleiter, die neun Stunden nach Peking fliegen, nur noch zehn Stunden Aufenthalt, in denen sie sich ausruhen müssen, um für den neunstündigen Rückflug wieder fit zu sein. Und über Tochterfirmen und Beteiligungen ist die ehemalige Staatslinie mit dem Kranich-Emblem auch schon längst am Billigflieger-Geschäft beteiligt.

Die Charter-Airline Condor gehört zu 50 Prozent der Lufthansa. Für sie fliegt Markus Müller, und wenn man ein böses Wort dafür finden will, was der Unterschied zwischen Brigitte Maier und Markus Müller ist, so könnte man sagen, er ist ein Billig-Steward. Denn während Brigitte Maier einen alten Tarifvertrag mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld und einer großzügigen Rentenregelung hat, der so etwas wie ein Dokument aus guten alten Zeiten der Bundesrepublik ist, kämpft Markus Müller für mehr Rechte und eine fairere Bezahlung für seinen Job. Folglich hat er auch kein Problem damit, dass sein Name erwähnt wird, denn seine gewerkschaftliche Arbeit ist seinen Chefs wohl bekannt.

… zum Billigjob

Markus Müller sitzt vor seinem Latte Macciato in einem Hotelcafé in Berlin und sieht trotz Sonnenbräune und hellen blondierten Haaren blass und erschöpft aus. Wenn er einem erklärt, mit welchen Tricks und Bestimmungen die Airlines immer mehr versuchen, aus dem Beruf der Flugbegleiter einen Job wie an der Supermarktkasse oder im Schnellrestaurant zu machen, redet er sich in Rage. „Was man verdient, trägt man in die Apotheke: Fliegen, bis der Arzt kommt.“

Er jongliert mit Formulierungen wie „zweite Luftfahrtsbundesamtbestimmung“ und zitiert Paragrafen, nach denen Flugbegleiter in erster Linie als Sicherheitspersonal und nicht als Servicepersonal gelten. Der 41-Jährige ist im Betriebsrat von Condor Berlin engagiert. Er will, dass sein Beruf wirklich ein Beruf bleibt. Ihn regt es auf, wie Unternehmen auf der einen Seite Flüge für neun Euro im Internet anbieten und auf der anderen Seite ihren Mitarbeitern immer weniger bezahlen wollen und sich die Arbeitsbedingungen ständig verschlechtern.

Auch Müller, das hat er mit Brigitte Maier gemeinsam, hat schon früh vom Fliegen geträumt. Als kleiner Junge hat er Steward werden wollen, nie Kapitän. „Ich brauch mein Publikum“, sagt er und grinst. Er wuchs in der Nähe vom Flughafen Tempelhof auf und guckte den Maschinen am Himmel hinterher. Aber deutsche Airlines durften Berlin bis 1990 nicht anfliegen. Markus Müller wollte zwar in die große weite Welt, aber aus Berlin erst mal doch nicht raus. Also blieb er in der geteilten Stadt, machte eine Friseurlehre, später den Meister, dann hatte er seinen eigenen Laden. Aber als 1989 die Mauer fiel und ein Jahr später die ersten deutschen Fluglinien auch von Berlin aus flogen, sah er seine Chance, bewarb sich, wurde genommen und arbeitete erst für Dan Air, später für Air Berlin.

Er hat es nie bereut, sagt er. Vielleicht, weil dieses Leben auch ein bisschen süchtig macht. Ein Flugzeug ist immer in Bewegung. Es gibt keinen Stillstand, keine Routine. Jeden Tag ist das Wetter anders, die Passagiere, die Crew. Aufhören will er jedenfalls noch lange nicht.

Markus Müller trinkt seinen Latte Macciato aus und verabschiedet sich. Er muss früh aufstehen, um drei Uhr, gegen sechs Uhr muss er die ersten Gäste im Flugzeug nach Teneriffa begrüßen. Er wird freundlich lächeln, obwohl er müde ist. Er wird Zeitungen verteilen und Essen und Getränke servieren, obwohl ihm die Augen von der trockenen Flugzeugluft wehtun. Fünf Stunden, dann wird das Flugzeug landen, und in der Stunde, die die Maschine am Boden ist, wird Markus Müller helfen, mit aufzuräumen und sich um das neu angelieferte Essen zu kümmern. Nur kurz wird er auf dem Rollfeld stehen und die warme Sonne spüren, bevor er mit einer neuen Ladung von Urlaubern wieder zurück nach Berlin fliegt.

Nach elf Stunden und fast 7.000 Kilometern wird er wieder in Deutschland sein. Dann wird er auch den letzten Gast, der vielleicht nur 29 Euro bezahlt hat, freundlich verabschieden, noch schnell seinen Dienst-Briefkasten am Flughafen leeren, damit er weiß, ob es für den Flug am nächsten Tag irgendwelche Änderungen gibt, und dann die S-Bahn nach Hause nehmen.