„Dein Posting holt dich ein“

POST-PRIVACY Alles Private ins Netz zu stellen kann nach hinten losgehen, meint Datenschützer Ralf Meschke

■ 48, ist Experte für Datenschutz und Informationssicherheit sowie Referent für Krankenkassen, Stiftungen und Verbände.

VON KARIM EL-HELAIFI
UND GUSTAV BEYER

taz: Herr Meschke, die aufkommende Post-Privacy-Bewegung fordert totale Transparenz im Netz. Was haben Sie dagegen?

Ralf Meschke: Niemand muss seine Privatsphäre schützen. Wenn jemand sich unbedingt darstellen möchte, bitte! Das kann aber nach hinten losgehen. Der Arbeitgeber erfährt Dinge, die ihn nichts angehen – oder man zieht von der Großstadt in ein Dorf, in dem manche Leute ein Gedankengut von 1920 haben. Dann hat man ein Problem.

Ist Berlin die Hauptstadt des Internets?

Nein. Ich glaube, dass Berlin eine kulturelle Hauptstadt ist. Das macht Berlin besonders. Hier konnte der Bürgermeister seine Homosexualität outen.

Er hat damit das getan, was Post-Privacy-Aktivisten propagieren, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Es ist wichtig, dass diskutiert wird und Vorurteile abgebaut werden, aber solche privaten Äußerungen müssen freiwillig stattfinden. Die Privatsphäre muss geschützt bleiben.

Wann ist es okay, Privates im Netz zu veröffentlichen?

Selbstmarketing, zum Beispiel bei Facebook ist in Ordnung, wenn der User aufgeklärt ist. Firmen nutzen Daten zu eigenen Zwecken und informieren unzureichend. Dafür ist der Staat verantwortlich, er muss eine vernünftige Gesetzgebung schaffen, die Anbieter wie Facebook zur rein zweckmäßigen Datenverarbeitung verpflichtet. In der Politik wird viel Augenwischerei betrieben. Und die Werbung tut ihr Übriges: Alles ist hip und hübsch. Hurra! Aber dahinter verbirgt sich in der Tat ein echtes Problem.

Lassen wir uns für dumm verkaufen?

Ja. Vor allem die Schulen müssten mehr Internetexperten haben, und die Lehrpläne sollten geändert werden. Der Staat ist aber noch viel zu langsam für das Internet.

Kann zu viel Plapperei gefährlich werden?

Das ist abhängig von dem politischen System. In einem totalitären System können öffentliche Statements zu brenzligen Themen ein echtes Problem werden. Eine Demokratie lässt dagegen zu, dass Dinge transparenter werden, ohne Angst vor den Konsequenzen haben zu müssen. Und weil wir nicht wissen, wie sich unsere Demokratie entwickelt, kann der Schuss nach hinten losgehen. Da das Internet nichts vergisst, könnten dich deine heutigen Postings vielleicht in 20 Jahren wieder einholen. Und dann?

Klingt sehr pessimistisch.

Das hat nichts mit Pessimismus zu tun. Das ist realistisch. Wir sehen ja, wie das im Arabischen Frühling abgelaufen ist, als die Regierung merkte, dass ihre Bürger aufsässig wurden. Schnell wurde daran gearbeitet, in fremde Privatsphären einzugreifen, um Leute zu maßregeln. Man kann nicht einfach seine Meinung im Netz äußern, weil man nie weiß, wer gerade hinguckt.

Früher hatten die Menschen Angst, als die Fotokamera auf den Markt gekommen ist. Plötzlich konnte man alles und jeden fotografieren und die Bilder im Bekanntenkreis verbreiten. Werden wir uns in 20 Jahren nicht selbst auslachen, dass wir „damals“ so einen Schiss vor der Onlinedarstellung hatten?

Das ist möglich. Allerdings hat das, was ihr jetzt Angst nennt, auch seine Berechtigung: Digitale Medien verbreiten sich im Vergleich erheblich schneller und umfassender. Wenn du selbst bei Facebook ein Foto reinstellst, hast du das Motiv noch in der Hand. Was aber, wenn jemand anders ein Bild von dir postet? Das kann schneller gehen, als dir lieb ist. Auf einer Party zum Beispiel bewegt man sich in einer sehr lokalen Öffentlichkeit. Wenn ich dort mit Freunden einen über den Durst trinke, ist das was anderes, als wenn sich eine Million Nutzer im Internet über ein Saufbild von mir lustig machen.