Die Sensation des Dorfes

PANZERFAHREN IM MATSCH Im Brandenburger Dorf Steinhöfel vermarkten ehemalige NVA-Angehörige ihren alten Beruf als Freizeiterlebnis. „Am besten, du redest nicht“ lautet die erste Anweisung für Anfänger

■ Dirk Laucke war sieben Jahre alt, als das Ende der DDR kam. Dass Kinder DDR spielen, kannte er von klein auf. Geboren 1982 in Schkeuditz, studierte er zuerst Psychologie in Leipzig und ab 2004 szenisches Schreiben in Berlin. Seit er 2006 den Kleist-Förderpreis für sein Stück „alter ford escort dunkelblau“ verliehen bekam, ist er ein viel gefragter Theaterautor.■ Seine Stücke, oft Auftragswerke von Theatern, sind sehr nahe dran an kaputten Existenzen. „Der kalte Kuss von warmem Bier“ handelt von den Traumata von ehemaligen Soldaten aus Ost und West und erschien in der Juli-Ausgabe von Theater heute. Am 31. Oktober wird in Dresden „Für alle reicht es nicht“ uraufgeführt. Das Stück schrieb Laucke als Teil des Projekts „After the fall“, das zwanzig Jahre nach 1989 nach den Auswirkungen des Mauerfalls in Europa fragt. Darin trifft ein Gaunerpärchen auf einen Lastwagen voll chinesischer Flüchtlinge. ■ Für die taz schrieb er diese Geschichte auf, in der Erwachsene Vergangenheit nachspielen. Foto: Karoline Bofinger

VON DIRK LAUCKE

„Wenn du in eine Senke fährt, gehste runter vom Gas. Und ganz unten – kein Schwein denkt mehr an dich – bretterst du aus dem Matsch, dass denen die Ohren schlackern …“

„Baumstumpf!“, sage ich und meine Kontakperson hält für einen Augenblick die Klappe, um uns erst mal mit unserm familientauglichen Pkw sicher durch den Wald zu manövrieren. Nach dem Wald kommt Steinhöfel. Hinter Steinhöfel rasen uns mit Affenzahn weitere familientaugliche Pkws mit aufgesessenen Muttis, Vatis, Kindern und Technojugendlichen auf einem schmalen Feldweg entgegen. Jedes Schlagloch, jede Pfütze nehmen sie mit – an ihrem Fahrstil wagen die Augen meiner Kontaktperson und mir zu erkennen: Sie kommen von dort, wo wir hinwollen. Und als die ersten Abgasschwaden über einem vollkommen runtergerockten Acker auftauchen und mir das Herz in die Prostata rutscht, gibt es keinen Zweifel mehr. „Panzer! Panzer!“, brülle ich. „Das sind BMPs“, weist mich meine Kontaktperson fachmännisch auf den Unterschied zwischen Kampf- und Schützenpanzer hin – ehe auch er volle Pulle Gummi gibt.

Die schönsten Jahre

Meine Kontaktperson ist szenekundig, was das Bedienen und Instandsetzen von Militärfahrzeugen betrifft. Die Jahre bei der untergegangenen Nationalen Volksarmee (NVA) waren die schönsten in seinem Leben. Und er wäre nach eigenen Aussagen auch heute noch in der Lage, einen Bundeswehrpanzer des Typs Leopard 1 an der richtigen Stelle „zu knacken“. Die alten Kontakte seiner Dienstzeit sind auch der Anlass unserer Reise. – Die und diese Sehnsucht, nach 20 Jahren mal wieder an der Lenkung eines „Rüssels“ oder „Eisenschweins“ zu sitzen, wie er die 30 Tonnen schweren Kriegsfahrzeuge liebevoll nennt.

Das Angebot der fahrbaren Imbissbude am Eingang des Geländes erweckt in mir den Eindruck, als nähme man hier den Osten noch ernst – eine Hand voll Bockwürste und Knacker. Aber alles, was jetzt kommt, ist eine Spur härter. Vergesst eure Grill-Anzünder-Brandsätze, ihr halbseidenen Autonomen-Imitate. Militanter Widerstand sieht anders aus.

Mit den Sturmhauben bewaffnet stiefeln meine Kontaktperson und ich über die Anlage auf ein Gartenhaus zu. Motorengedröhn und Diesel hängen bleiern in der Luft. Auf der Panzerstrecke rast gerade ein BMP – aus der Nähe erkenne ich das jetzt auch – über einen Erdwall und knallt mit der Kette auf einen Stein. Das gibt ein knarzendes Geräusch, und die in den Luken stehenden Mitfahrer fliegen fast kopfüber aus dem Panzer. Das Fahrzeug hält kurz. Kein Schaden. Weiter geht’s.

„Erbitte Meldung“, salutiert meine Kontaktperson vor dem Gartenhaus. Ein Mann im selben Alter (um die 50) trägt die Ein-Strich-kein-Strich-Uniform der DDR-Soldaten. „Keine Vorkommnisse“, salutiert er unbeholfen zurück, ehe das große Rätselraten – wann wer wo mit wem gedient hat – beginnt.

Im Urlaub fing das an

Der Mann Uniform ist einer der beiden Brüder Heyse, die das mit den Panzern hier aufgezogen haben. Das fing in Tschechien an. Im Urlaub. Da haben sie ihn gesehen, in einem Zustand, der ihnen Herz bluten ließ – ihren ersten Panzer. Die Gebrüder stülpten die gesamte Familienkasse auf den Kopf, um die bloße Wanne des Fahrzeugs vor der Verschrottung zu retten. Zuhause bekam der Bergepanzer vom Typ T55-T sein fehlendes Innenleben von den Ex-Profis zurück. Einen Traum hatten die Brüder: noch einmal so ein Ding zu fahren. Aus dem Rundendrehen mit dem einen alten Panzer wurde eine Dorfsensation, die sich vor allem unter ehemaligen NVAs rumsprach.

Inzwischen besitzen die Brüder Heyse 13 Berge-, Schützenpanzer und Laster der östlichen Armeen. Das Nachbarfeld wird noch nächstes Jahr okkupiert. „Gruppenbuchungen von 10 bis 100 Personen möglich.“ – Aus dem Traum wurde ein Geschäft.

Der uniformierte Kommandochef bittet meine Kontaktperson und mich in sein Büro, also das Gartenhäuschen, in dessen Tür er steht. Dort pflanzt er sich hinter einen großen Schreibtisch, umrahmt von einem Panzermodell und einem kleinen Bildschirm, auf dem ununterbrochen ein Zusammenschnitt von NVA-Manövern läuft. An der Wand hängt Hammer-Sichel-Ehrenkranz. Und abgesehen von den kurzen Funksprüchen – „502 dreht noch eine“ – hat er Zeit für Fachsimpeleien mit meiner Kontaktperson: „Ja sicher, hatten wir nicht den ganzen Technik-Quark, aber das nützt denen im K-Fall auch nichts.“

„Außerdem hätten die drei Tage gebraucht, um ihre Fahrzeuge kampffähig zu kriegen. Den Nato-Inspektoren ist das Gesicht entgleist – erst schön gelacht über den veralteten Stand bei uns – und dann reingekuckt: Uff! Die sind ja voll aufmunitioniert! Was habt denn ihr gedacht, ihr Spinner?!“

In drei Tagen an der Seine

„Gab mal die Theorie, wir wären im Ernstfall in drei Tagen an der Seine gewesen.“

„Quatsch. In zwei, drei Tagen am Rhein, das ist realistisch …“

Aber wir sind ja nicht zum Labern hier. Meine Kontaktperson schiebt einen Packen Bares über den Kommandotisch. Zeit, sich die Hasskappe überzuziehen.

Der nächste T55 ist unserer. Auch hier das Emblem der DDR (bei anderen Fahrzeugen nur der Sowjet-Stern). Der Fahrlehrer stülpt mir die Panzerhaube auf den Kopf. Meine Kontaktperson sitzt hinten auf dem Fahrzeug. Der Fahrlehrer beugt sich aus der Kommadoluke zu mir runter und gibt über Funk Anweisung: „Am besten ist, du redest nicht. Die Anlage ist scheiße. Du sagst nur Ja, wenn du verstanden hast, und hältst den Panzer sofort an, wenn nicht. Verstanden?“

„Denk ich mal.“

„Ja!“

„Ja.“

„Rechts vor dir siehste den Drehzahlmesser. Siehste den Drehzahlmesser?“

„Ja.“

„Die Drehzahl darf nicht über 2.000 kommen. Unter 2.000 auch nicht. Links Kupplung. Rechts Gas und Bremse. Wie beim Auto. Haste Führerschein?“

„Nein.“

„Scheißegal, das Ding hat schon ein Elfjähriger gelenkt. Und immer dran denken: 34 Tonne Stahl schützen nicht die andern, sondern dich.“ Also brettern wir los. Ich krieg zunächst kaum was von dem Fahrgefühl mit, weil ich ständig nur auf den Drehzahlmesser stiere und strikt die Funkanweisungen („Links,“ „Rechts,“ „Langsam,“ „Gas“) befolge, doch irgendwann lockert sich das und ich kuck schon mal in der Gegend rum, während meine Hände automatisch die Lenkhebel bedienen.

Diesel schwängert die Luft

Vom Feld ist nicht mehr viel übrig, so zerwühlt sind die obersten Bodenschichten vom nie abreißenden Kettengerassel darauf. An uns vorbei schnellen andere Kampf- und Schützenpanzer mit aufgesessenen Panzertouris, jagen durch metertiefe Pfützen und schwängern die Landluft mit Diesel. Ich denke daran, was mir meine Kontaktperson im Auto gesagt hatte, gehe runter vom Gas, als mein Panzer in eine Senke rollt – und drücke ordentlich auf die Tube bergauf. An den Seiten spritzt das Wasser aus allen Poren der Erde und ich bin stolz, kampftauglich zu sein.

„Nur 10 Euro Panzer-Fun im BMP!“ Während ein Bergepanzer einen schrottreifen Kleinwagen zermalmt, besteigen wir ein weiteres Kettenfahrzeug. Die Werbung verspricht maximales Mitfahrvergnügen bei einem der Fahrlehrer. Ich setze mich in die Kommandantenluke direkt hinter den Fahrer. Noch einmal kriege ich eine Einweisung: Ab und zu soll ich mich umdrehen und kucken, ob bei denen da hinten auch alles in Ordnung ist.

„Wenn einer rausfällt oder kotzt“, sagt der Fahrer, „mir einfach auf die Schulter klopfen.“ Der Motor heult. Ein Ruck. Und wir rollen wieder. Dauernd spritzt mir Schlamm in die Fresse. Ich dreh mich nach meiner aufgesessen Mot-Schützen-Gruppe um: Wie Kegel schwanken ihre Oberkörper mit der Fliehkraft hin und her, sobald das Fahrzeug sich in die Kurve legt. Ihre Augen zugekniffen, ihre Mimik eingefroren, halten sie dem stinkenden Fahrtwind und auffliegendem Matsch tapfer stand. Meine Kontaktperson versucht zu lächeln. Ich seh nur, dass er Zähne zeigt.

Auf der Heimfahrt drückt mir meine Kontaktperson eine DVD in die Hand. Während meiner Fahrversuche war die ganze Zeit eine Kamera auf mich gerichtet. „Ich bin stolz auf dich, Sohn“, sagt er. Ich blicke auf meine erworbene Fahrerlaubnis. „Ich weiß“, nicke ich.