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: Aus Babbels Vermächtnis Kraft geschöpft

FUSSBALL Der Abstiegskampf ist noch nicht verloren: Gegen Mainz gewann eine starke Hertha 3:1

Dass Otto Rehhagel sich am frühen Samstagabend in Mainz ganz wie Otto Rehhagel präsentierte, hatte natürlich Gründe. Das 3:1 von Hertha BSC bei Mainz 05 war in Ergebnis und Leistung ja so überraschend wie wichtig. Nur eine Woche nach dem 0:6 gegen die Bayern präsentierte sich die jüngst noch so zerzaust daherkommende Hertha plötzlich wie eine richtige Mannschaft. „Gegen Bayern kann man 6:0 verlieren. Ich habe gegen Bayern München aber auch schon 6:0 gewonnen, da waren Sie noch gar nicht geboren“, beschied Rehhagel einem Reporter mit lässiger Selbstgewissheit. In der vergangenen Woche hat Rehhagel diesen Satz natürlich nicht gesagt. Aber am Samstag in Mainz spielte die Hertha ja auch nicht wie ein Absteiger.

Rehhagel hatte Anfang vergangener Woche viel Spott über sich ergehen lassen müssen nach einigen bizarren taktischen Fehleinschätzungen im Bayern-Spiel, seinem bevorstehenden Engagement beim FC Bundestag und seiner Vorliebe für literarische Klassiker. Doch jetzt ist Schluss mit Goethe: „Heute muss man ja schon aufpassen, wenn man zu erkennen gibt, dass man Goethe und Schiller kennt“, meinte der 73 Jahre alte Fußballehrer irritiert, versprach aber, vom Zitieren erst einmal Abstand zu nehmen. Vor dem Spiel in Mainz, so Mittelfeldspieler Peter Niemeyer, habe der Trainer jedenfalls keine Parolen rausgehauen, sondern sachlich analysiert. Aber es gehe nicht nur um den Trainer, betonte Niemeyer: „Wir Spieler haben viel gesprochen. Heute haben wir gezeigt, dass wir einen Arsch in der Hose haben.“

Otto Rehhagel mag ein alter Brocken sein, im Umgang mit Fußballern ist er flexibel. Herthas Rechtsverteidiger Christian Lell erzählte, es habe ein „offener Austausch“ zwischen Trainer und Spielern stattgefunden: „Wir haben den Gegner kompakt angelaufen und uns auf die Prinzipien konzentriert, die uns in der Hinrunde stark gemacht haben.“ Da war Markus Babbel noch Trainer, und die Hertha hatte 20 Punkte, bevor ein skurriler Rosenkrieg mit Manager Michael Preetz zur Trennung führte und die Hertha ins Chaos stürzte. Otto Rehhagel schien dieses bislang nur zu vergrößern nach dem unglückseligen und kurzen Kapitel mit Trainer Michael Skibbe. In Mainz aber hat Rehhagel alles richtig gemacht.

Die Spieler, das suggerieren Lells Worte, sehnten sich zurück nach der Ausrichtung, wie sie vor Skibbe funktioniert hatte. Man darf vermuten: Die Hertha hat in Mainz Punkte und Hoffnung gewonnen, weil sie gespielt hat wie unter Babbel – und das von Rehhagel trainiert und erklärt wurde. Letzterer jedenfalls setzte die Spieler in Mainz wieder in ihren angestammten Positionen ein.

Mit Glück überstanden die Berliner die gewohnt stürmische Anfangsphase der Mainzer und später manch heiklen Moment in der Defensive. In wichtigen Situationen spielten dann aber auch ihre zuletzt brachliegende individuelle Klasse aus. An drei Tore in einem Spiel konnte sich selbst Kapitän Levan Kobiashvili nicht erinnern, und Torjäger Ramos schien ja zuletzt seine Torjägerqualitäten so hoffnungslos verloren zu haben wie die Anhänger den Glauben an den Klassenerhalt.

Doch Rehhagel hatte unter der Woche verschärft Torschusstraining angesetzt – und prompt traf Ramos erstmals wieder seit Dezember, sogar gleich zweimal: kurz nach der Pause mit einem strammen Linksschuss nach einem herrlichen Konter über den für alle Mainzer viel zu schnellen Rukavytsaya und einem Pass des überragenden Raffael zum 2:0 (52.). Beim 3:1 nutzte der Kolumbianer in einer Drangphase der Gegner einen Fehler des Mainzer Innenverteidigers Jan Kirchhoff zum entscheidenden 3:1 (69.). Ben Hatira hatte Berlin kurz vor dem Pausenpfiff in Führung gebracht.

Natürlich, dozierte Rehhagel später, habe er Ramos vor dem Spiel daran erinnert, dass dieser es schon besser gemacht habe als zuletzt mit dem Toreschießen. Ramos werde in Mainz seine Chancen bekommen und solle dann mit seinem Partner Raffael schön Fußball spielen: „So ist es ja dann auch gekommen“, stellte Rehhagel zufrieden fest. Nun ist der Hamburger SV auf Relegationsplatz 16 nur noch ein Pünktchen entfernt und der Berliner Klassenerhalt tatsächlich wieder realistisch. Vor einer Woche schien diese Perspektive für die Hertha nur noch ein irrer Traum zu sein. TOBIAS SCHÄCHTER