Trügerischer Erfolg

Die Deutsche Bahn hat im Jahre 2004 erstmals seit vier Jahren wieder Gewinn eingefahren. Doch das heißt nicht, dass das Unternehmen auf einem guten Weg ist

Mehdorn will, dass Wettbewerb weiterhin nur dort entsteht, wo die DB weniger interessiert ist

„2004 hat uns das beste Bahnjahr beschert“, tönte Hartmut Mehdorn am 20. April auf einer Podiumsdiskussion des Deutschen Verkehrsforums. Übermorgen wird der Bahnchef auf der DB-Bilanzpressekonferenz die Zahlen zu dieser Erfolgsstory vorlegen. „Schönfärberei“ halten Kritiker dagegen. Die Zahlen würden die großen strukturellen Probleme der Bahn nicht abbilden. Die Strategie reduziert sich auf einen Börsengang, der die Probleme noch vergrößern wird.

Der Flop des neuen Fahrpreissystems für IC und ICE beherrschte die Bilanzpressekonferenz 2004. 460 Millionen Euro Verluste im Fernverkehr fraßen die Gewinne aus dem Nahverkehr vollständig auf. Das Ergebnis für den Personenverkehr insgesamt war eine rote Null. Laut Medienberichten hat sie sich nun in einen kleinen Gewinn verwandelt. Die DB-Interpretation ist vorhersagbar, im Mehdorn’schen Vokabular: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Wirklich?

Die Bundesländer kaufen die Zugleistungen im Nahverkehr ein. Nur ein Bruchteil ist bisher im Wettbewerb ausgeschrieben worden. In diesen Fällen sanken die Preise, das Angebot wurde attraktiver. Drei Viertel der Zugleistungen aber sind – elf Jahre nach der Bahnreform – noch nie ausgeschrieben worden. Sie werden nach pauschalen, häufig lang laufenden Verträgen vergütet, die DB Regio mit den einzelnen Ländern abgeschlossen hat. Die Vergütung ist üppig, die Angebotsqualität gering.

Die pauschalen Verkehrsverträge machen DB Regio zur Milchkuh des Konzerns. Sie werden aus so genannten Regionalisierungsmitteln von rund 7 Milliarden Euro pro Jahr gespeist. Die hatten die Länder dem Bund als Preis für die Bahnreform abgetrotzt. Diese Mittel sind ins Visier der Ministerpräsidenten Koch (Hessen) und Steinbrück (NRW) geraten. Zwecks Subventionsabbau verständigten sie sich auf eine erste kleinere Kürzung.

Mehrfaches Ungemach droht DB Regio vonseiten der EU-Kommission. Sie steht kurz davor, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Es ist schon jetzt abzusehen, dass das höchste europäische Gericht die zwischen Bahn und Ländern abgeschlossenen Nahverkehrsverträge für unwirksam erklären wird – denn sie sind ohne ein ordentliches transparentes Wettbewerbsverfahren abgeschlossen worden, wie es das europaweit geltende öffentliche Auftragsrecht zwingend vorschreibt. Vergibt der Staat an ein Unternehmen milliardenschwere Aufträge ohne Wettbewerb, so liegt in der Auftragsvergabe nicht nur ein Vergaberechtsverstoß vor, sondern zusätzlich eine unzulässige Staatsbeihilfe. Aus diesem Grunde prüft die EU-Kommission auch, ob die DB aus den Nahverkehrsverträgen erhaltene Gelder auch aus beihilferechtlichen Gründen zurückzahlen muss. Setzt sich die Kommission mit ihrer Position durch, müssen alle Regionalzüge neu ausgeschrieben werden. Die DB Regio geriete unter Wettbewerbsdruck. Die Preise würden fallen, die Qualität sich erhöhen, räumt selbst die DB ein. Aber: Die Milchkuh des Konzerns, DB Regio, würde zum Sanierungsfall.

Das Trassenpreissystem, also die Preise für die Nutzung der Gleise, hat der DB-Konzern so konzipiert, dass die Kosten des Netzes, rund 4 Milliarden Euro, zu zwei Dritteln aus Trassenerlösen des Nahverkehrs gedeckt werden – und damit wiederum überwiegend aus Steuermitteln. Nur rund 20 Prozent steuern IC und ICE zum Trassenerlös bei. Diese Züge aber treiben Instandhaltung, Ersatzinvestitionen und Kosten für den Ausbau des Netzes in die Höhe, wenn sie 200 Stundenkilometer fahren (IC). Noch extremer fällt das bei bei Hochgeschwindigkeitszügen wie dem ICE aus. Ein Trassenpreissystem, das auch auf Kostenverursachung zielt und den Fernverkehr adäquat zur Kasse bäte, ließe die Konzerntochter DB Fernverkehr zum schweren Sanierungsfall werden – auch dann, wenn die Folgen aus dem verunglückten Fahrpreissystem abgearbeitet sein sollten.

Die Netztochter des Konzerns, DB Netz, machte 2003 Verluste von rund 310 Millionen Euro. Mit einer „Optimierung der Instandhaltung“ will die DB das Ergebnis verbessern. Bahninterne Kritik, formuliert in einem Controllingbericht, konstatiert Schluderei beim Erhalt der Gleisanlagen. Letztlich handelt die DB auch nicht anders als die öffentliche Hand. Die Unterlassung von Instandhaltung entlastet heute und erzeugt morgen Sanierungslasten.

Die bisher üppigen Investitionen in das Netz werden das Ergebnis von DB Netz auch in Zukunft nicht verschönern. Ein großer Teil der Mittel ist in politisch induzierte Vorzeigeprojekte geflossen. Selbst das ursprünglich noch unumstrittenste Neubauprojekt, die Hochgeschwindigkeitsstrecke Köln–Frankfurt, ist wirtschaftlich ein Desaster. Sie hat doppelt so viel gekostet wie geplant und nur halb so viel Verkehr auf sich gezogen. Die Investitionseffizienz reduzierte sich auf 25 Prozent. Allein diese Strecke verursacht, so ein Gutachten der Bundesregierung, ein jährliches Defizit von 200 Millionen Euro. Die weiteren Neubaustrecken, die im Bau oder fest geplant sind, sind wirtschaftlich jenseits von gut und böse, etwa Nürnberg–München über Ingolstadt (fertig in 2006), Nürnberg–Erfurt durch den Thüringer Wald, die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs („Stuttgart 21“) oder das so genannte Y, eine Neubaustrecke von Hannover nach Bremen und Hamburg.

Können die strukturellen Probleme durch einen Börsengang gelöst werden? „Heuschrecken“ würden den Konzern zerlegen, sanieren und dann die Einzelteile an die Börse bringen. Aber dieses Szenario droht nicht. Die Verfassung bestimmt, dass das Eigentum am Netz mehrheitlich beim Bund verbleiben muss.

Die Unterlassung von Instandhaltung entlastet heute und erzeugt morgen Sanierungslasten

Mehdorn sucht also einen Minderheitsaktionär für den Konzern inklusive Netz. Die Verkaufsbedingungen haben ihm seine Berater von Morgan Stanley aufgeschrieben: Der Bund soll die Regionalisierungsmittel auf hohem Niveau belassen, sicherstellen, dass die Nahverkehrsverträge, die Pfründen von DB Regio, nicht durch die EU gekippt werden, und sich zivilvertraglich zehn Jahre mit Verlängerungsoption verpflichten, der DB jährlich 2,5 Milliarden Euro pauschal zum Erhalt des Netzes zur Verfügung zu stellen. Dessen Neu- und Ausbau würde zusätzlich auf Rechnung und Risiko des Bundes erfolgen. Die Maßnahmen müssten Renditen erwirtschaften, die dem privaten Investor genügen. Einziger anerkennenswerter Vorteil: Politisch induzierte Vorzeigeprojekte wird es wohl nicht mehr geben.

Der Bund soll langfristig hohe Zahlungsverpflichtungen eingehen, europäisches Recht aushebeln und dem DB-Chef nicht mehr reinreden dürfen. Bei diesem Satire-Szenario kann alles bleiben, wie es ist. Wettbewerb entsteht nur dort, wo die DB weniger interessiert ist. Mit der Sanierung kann man sich deshalb Zeit lassen. Konkurssicherheit ist gewährleistet, weil der Bund wegen des integrierten Netzes Mehrheitsaktionär bleiben muss. Man muss schon einen Kanzler als Freund haben, um so etwas wollen zu dürfen.

GOTTFRIED ILGMANN