„Habt mehr Verständnis“

Mia*, 20 Jahre, aus Rostock

Mia am Strand in Warnemünde. Für sie versinnbildlicht der Ort Zukunft, weil er ihr ganz viel Freiheit gibt. Hier am Meer kann sie sich gut entspannen

Gerade mache ich Abitur und hoffe, dass ich das gut meistere. Die Schulzeit war nämlich gar nicht so einfach für mich. Als ich die vierte Klasse wiederholt habe, waren die jüngeren Kinder ganz schön fies zu mir.

Ein paar Jahre später, während der Coronapandemie, habe ich mich sehr zurückgezogen und drei Monate in meinem Zimmer verbracht. Da habe ich mich oft alleine gefühlt. Doch das ist zum Glück vorbei. Jetzt freue ich mich darauf, im Sommer bei meinen Eltern auszuziehen und mit meiner Freundin nach Leipzig zu gehen. Dort möchte ich Pädagogik studieren oder Soziale Arbeit oder eine Ausbildung zur Ergotherapeutin machen.

Da ich selber schon schwierige Phasen erlebt habe, könnte ich mir vorstellen, dass ich Menschen, denen es gerade selbst nicht so gut geht, vielleicht besser verstehen kann. In den Akutkliniken, in denen ich wegen meiner Essstörung und Depression war, hat es mir echt geholfen, mit anderen Betroffenen zu reden. Wir konnten uns gegenseitig Halt geben, weil wir gerade alle etwas Ähnliches durchmachten.

Für unsere Gesellschaft wünsche ich mir, dass mentale Gesundheit nicht mehr so ein Tabuthema ist. Wenn man sagt, ich habe Depressionen, wissen die meisten nicht, wie sie reagieren sollen. Ich finde, dass auch Lehrkräfte mehr Verständnis für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zeigen und sie besser unterstützen sollten. Ich habe das Gefühl, dass sie sonst oft komplett untergehen. Schü­le­r:in­nen mit Depression schaffen es zum Beispiel vielleicht mal nicht, zwei Wochen am Stück in die Schule zu gehen. Das sollte als Teil der Krankheit angesehen und nicht als faul abgestempelt werden.

Natürlich darf man sich da nicht drauf ausruhen. Aber manchmal geht es einfach nicht. Niemand sollte sich für seine Krankheit rechtfertigen müssen. Allgemein wünsche ich mir mehr Akzeptanz untereinander, egal wo man herkommt, wie man aussieht, egal welche Krankheiten man hat oder welche Behinderung, egal wen man liebt.

Meine größte Angst ist, dass es mir irgendwann wieder schlecht geht. Mir fallen Veränderungen sehr schwer und deshalb habe ich auch ein bisschen Angst davor, bei meinen Eltern auszuziehen und selbstständig zu werden, eine Ausbildung zu finden, ein Leben aufzubauen. Da wird man nach der Schule schon ein bisschen ins kalte Wasser geworfen.

Ich beobachte in meiner Stadt, dass immer mehr Jugendliche rechts werden, es kommen immer mehr rechte Sprüche und Beleidigungen, und das macht mir extrem Angst. Weil ich selbst mit einer Frau zusammen bin, aber auch, weil ich mich frage, was das allgemein für unsere Gesellschaft bedeutet, besonders für all jene, die nicht in das Schema von Rechten passen.

Die Beziehung mit meiner Freundin gibt mir Zuversicht, ich freue mich auf unsere gemeinsame Zukunft. Auch, dass ich mittlerweile an einem Punkt bin, an dem ich für mich selber kämpfe und gesund werden will und nicht mehr der Anpassungsdruck der Gesellschaft der Antrieb dafür ist.

Ich bekomme gerade auch viel Unterstützung von meiner Familie und Freund:innen. Dafür bin ich dankbar, weil ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. In meinem näheren Umfeld fühle ich mich zu hundert Prozent so akzeptiert, wie ich bin. Im öffentlichen Raum sieht das allerdings anders aus. Letzte Woche waren wir im Club, und meine Freundin wurde als Schwuchtel beleidigt, weil sie kurze Haare hat. Unsere Freundinnen haben uns sofort verteidigt und gesagt: Seid ihr homophob, oder was? Geht weg, lasst uns in Ruhe!

Auch wenn es eine echt beschissene Situation war, war es hinterher ein schönes Gefühl, dass die anderen so für uns da waren.

Mia vor der Uniklinik Rostock. Ihr ging es eine Zeit lang nicht so gut. Das ist etwas, was sie gern hinter sich lassen würde

Protokoll: Katharina Höring

* Name auf Wunsch geändert