Ansichten einer Debütantin

VON ERIC CHAUVISTRÉ

Nicht Dortmund, nicht Hannover, nicht Goslar. Der Wahlkampfabschluss Gerhard Schröders wird diesmal wohl in New York stattfinden. Statt auf einem Marktplatz in der deutschen Provinz Hartz IV zu verteidigen, kann sich der Kanzler in den letzten Tagen vor dem 18. September beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zur UN-Reform als routinierter Außenpolitiker präsentieren.

Schon beim G-8-Treffen im Juli und beim EU-Krisengipfel Mitte dieses Monats bietet sich Schröder die ganz große außenpolitische Bühne. Die Wochen dazwischen wird er nutzen, um einmal mehr an das gründlich missglückte außenpolitische Debüt Angela Merkels zu erinnern. Schon bevor die Kanzlerkandidatin offiziell nominiert war, warf Schröder der CDU-Chefin vergangene Woche vor, dass sie sich vor dem Irakkrieg vor der Verantwortung „gedrückt“ habe. „Das kann wieder passieren“, so Schröder. „Und das wird man den Menschen auch sagen.“

Die Botschaft: Wer wie Merkel in einer historischen Krise so versagt hat, der gehört nicht ins Kanzleramt. Angela Merkel war Ende Februar 2003 – die Irakinvasion war im Stillen schon angelaufen – nach Washington geeilt, um sich bei Richard Cheney, Donald Rumsfeld und Condoleezza Rice von der kritischen Haltung der Bundesregierung zu distanzieren. Nach Kriegsbeginn hatte Merkel, trotz vieler kritischer Stimmen aus der eigenen Partei, ihre Unterstützung für Bushs Irakinvasion noch einmal bekräftigt.

Schon am Tag nach dem Wahldesaster der SPD in Nordrhein-Westfalen kündigte Franz Müntefering an, die Sozialdemokraten würden die Außenpolitik zu einem der drei großen Themen im Wahlkampf machen. Die Versuchung liegt nahe. 2002 hatte die SPD erst in den letzten zwei Wochen vor der Wahl zur Opposition aufgeschlossen – vor allem wegen der Kontroverse um den Irak. Doch diesmal wird die Wirtschaftspolitik von der Agenda nicht so einfach zu verdrängen sein. Und eine neue Konfrontation von der Dimension des Irakkriegs, in dem eine deutsche Regierung Stellung beziehen müsste, ist nicht absehbar.

Dennoch bereitet sich die Union darauf vor, ihr außenpolitisches Programm nicht bis zum Wahltag auf die Aussage begrenzen zu können, dass sie eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ablehnt. In der vergangenen Woche machte der Irakkriegsbefürworter Friedbert Pflüger deshalb schon mal deutlich, dass auch unter einer CDU-geführten Bundesregierung keine Bundeswehr in den Irak geschickt werde. Noch im Juli 2003 war Pflüger für genau solch einen Einsatz eingetreten.

Gegen einen Bundeswehreinsatz im Irak sprach sich jetzt auch CDU-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble aus. Die damalige Haltung der Union zum Irakkrieg sei aber „auch aus heutiger Sicht richtig“. Da hilft der Union womöglich, dass ihre damalige Haltung ebenso verwirrend war. So geißelte die Union einerseits das Nein der Bundesregierung zu jedweder Teilnahme an einer Irakinvasion, andererseits aber rutschte Kanzlerkandidat Edmund Stoiber vor laufenden Kameras heraus, er werde den USA bei einem Alleingang nicht einmal die Nutzung ihrer Stützpunkte in Deutschland gewähren.

Da der damals von der Union prognostizierte Isolation Deutschlands durch einen vermeintlichen „Sonderweg“ Schröders ist nicht zu erkennen ist, bleibt der CDU die Kritik an Schröders zuweilen allzu großspurigem Auftreten. Und Kritik an seiner Russlandpolitik. Damit könnten sich schließlich auch bei der rot-grünen Klientel Punkte holen lassen. „Die Signale, die Schröder immer wieder gesetzt hat, durch den Achsengedanken Paris–Berlin–Moskau und womöglich noch Peking, würden sie von der Union nicht sehen“, verspricht CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz im Gespräch mit der taz. Auch innerhalb der EU wolle man die kleinen Länder wieder mehr einbeziehen, so Polenz, und nicht wie Schröder nur auf die Beziehungen zu Frankreich setzen.

Ins Bild passt da auch die Zurückhaltung der CDU bei der deutschen Bewerbung um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Doch allzu wenig außenpolitische Eigenständigkeit kann sich die Unionsführung nicht leisten. Denn eine USA-kritische Haltung ist unter den Mitgliedern und in der Anhängerschaft von CDU und CSU mindestens ebenso verbreitet wie bei Sozialdemokraten und Grünen. Nur die Konfrontation zwischen Regierung und Opposition während es Irakkriegs überdeckte den heftigen Unmut vieler Unionsanhänger mit Merkels Kurs in dieser Frage.

Auch andernorts lauern Fallen. Setzt Merkel weiterhin darauf, ihre Außenpolitik vor allem über ihre Ablehnung einer Aufnahme der Türkei zu begründen, wird dies unvermeidlich mit der bislang propagierten Treue zu den USA kollidieren. Schließlich drängt Washington seit langem auf einen EU-Beitritt Ankaras. Ohnehin birgt die Europapolitik Konfliktpotenzial innerhalb der Unionsparteien. In der CSU ist das Unbehagen mit der Vertiefung der EU offenkundig. Aber auch bei der CDU gibt es viele die ähnlich denken. Die Anzahl der Neinstimmen bei der Abstimmung über den Verfassungsvertrag Mitte Mai im Bundestag konnte nur durch immensen Druck von Merkel und Edmund Stoiber auf 20 begrenzt werden.

Angesichts der Widersprüche im eigenen Lager wird die Union aus eigener Initiative die Außenpolitik deshalb so wenig wie möglich thematisieren. Verbale Attacken gegen einen EU-Beitritt der Türkei werden zwar gefahren – aber staatsmännisch durch den Verweis auf die Beachtung geschlossener Vereinbarungen abgefedert. Und das Thema Irak wird man versuchen, geflissentlich zu überhören – ähnlich wie die Kapitalismusdebatte vor der NRW-Wahl.

„Die CDU ist ohnehin keine Partei mit einem klaren außenpolitischen Profil“, so ein langjähriger intimer Kenner der außenpolitischen Entscheidungsprozesse in der CDU. Zu klären gäbe es dabei einiges. An die unbedingte Westbindung früherer unionsgeführter Bundesregierungen könne sie nicht mehr ohne weiteres anschließen. Angesichts der amerikanischen Politik im Nahen und Mittleren Osten müsse sich auch die Union neu positionieren.

Erkennbar ist solch eine inhaltliche Positionierung bislang nicht. „Eine CDU-geführte Regierung würde als eine ihrer ersten Prioritäten versuchen, das traditionelle Vertrauen wieder herzustellen, das zwischen Washington und Deutschland bestand“, erklärte vergangene Woche Friedbert Pflüger.

Was fehlt, sind Visionen. Aber auch das kann ja Programm sein: Statt einem historischen Friedensprojekt wird die EU zu einem nützlichen Wirtschaftsraum. Und wenn eine militärische Intervention der USA unterstützt wird, dann wird dies nicht wie unter Rot-Grün mit dem schönen Glauben an ein weltweites Demokratisierungsprojekt legitimiert. Begründet würde sie unter CDU-Führung mit der nüchternen Kalkulation, die Großmacht USA nicht brüskieren zu wollen.

Pragmatischer also, weniger missionarisch, ambitionsloser, provinzieller – so dürfte sich die CDU außenpolitisch präsentieren. Spätestens, wenn nach einem Regierungswechsel auch Merkel bei der Arbeitsmarktpolitik an ihre Grenzen stößt, wird sie aber versucht sein, eigenes außenpolitisches Profil zu entwickeln. Auch George W. Bush hielt bei Amtsantritt schließlich nichts von großen außenpolitische Visionen. Als er im Jahr 2000 das erste Mal für das Weiße Haus kandidierte, forderte er eine Abkehr von der moralisch begründeten Politik militärischer Interventionen wie sie Bill Clinton betrieb. Das sollte sich bekanntlich bald ändern.