meinungsstark
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Gefangen im Polizeikessel in Berlin

„Letzte Generation: Eher magere Beteiligung. Die Letzte Generation hat kurzzeitig die Warschauer Brücke blockiert“, taz vom 18. 3, 24

Liebe taz, am 16. März war ich mit meinen 70 Lebensjahren zum ersten Mal in einem Polizeikessel. Ich habe schon einige Protestmärsche der Letzten Generation mitgemacht, alle waren immer friedlich verlaufen. Um 12 Uhr sollte die Warschauer Brücke in Berlin für den Autoverkehr blockiert werden. Punkt 12 Uhr gingen 30 Ak­ti­vis­t*in­nen auf die Straße und setzen sich hin. Sofort stürmte ein Heer von Po­li­zis­t*in­nen dorthin und riss die Ak­ti­vis­t*in­nen auf brutalste Weise von der Straße. Ohne vorherige Ansprache und Aufforderung wurden friedliche Ak­ti­vis­t*in­nen, unter anderen auch meine Freundin, mit Schmerzgriffen, ohne Rücksicht auf Verletzungen, von der Straße gerissen, geschleift und getragen. Ein Polizist versuchte meiner Freundin das Banner zu entreißen, als sie es festhielt, schubste er sie zurück, die Menschen auf dem Bürgersteig fielen übereinander. Wir versuchten, mit den Polizeibeamten zu sprechen. Einer ging auf unser Gespräch ein, schwieg aber, als ihm von einem Kollegen verboten wurde, mit uns zu diskutieren.

Ich wollte nur noch nach Hause, aber die Polizisten teilten mir mit, dass ich warten müsse, bis die Personalien aller Menschen auf dem Bürgersteig festgestellt seien. Es war kalt, regnete und stürmte. Mit mir standen nun 70 Menschen, von denen viele nichts mit der Demonstration zu tun hatten, auf dem Bürgersteig und warteten auf Anweisungen. Als ich dringend zur Toilette musste, begleitete mich eine Polizistin in die gegenüberliegende Bäckerei. Die Toilettentür durfte ich nicht zumachen und im Spiegel konnte die Polizistin mich beobachten. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gedemütigt gefühlt. Wir warteten drei Stunden, bis die Polizei begann, uns einzeln zu den Polizeiautos zu geleiten. Es war sehr kalt, die Menschen froren, ich musste zwischendurch weinen, weil ich so fassungslos darüber war, wie man mit uns, die wir nichts Kriminelles gemacht hatten, umgeht. Am nächsten Tag noch fühlte ich mich beschädigt und gedemütigt. Wir sind keine Terrorist*innen, keine Mörder*innen, keine Menschen, die den Staat infrage stellen.

Ich frage mich, was passiert erst, wenn die AfD einmal mit in der Regierung ist, wenn jetzt schon unter der CDU-Regierung in Berlin solche Veränderungen in der Exekutive stattfinden. Annelie Steffensky, Berlin

Bürokratie: Wofür? Wann reicht’s?

„Bürokratieabbau ganz bürokratisch. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV kommt: Akten werden weggeworfen, Hotel-Meldezettel abgeschafft“, taz vom 14. 3. 24

Ich frage mich, was mit überbordender, lähmender Bürokratie eigentlich genau gemeint ist? Man kann doch nicht jedes Warten eines Verkäufers als „durch Bürokratie verursacht“ bezeichnen. Im Hotel zum Beispiel: Während ich den Meldezettel ausfülle, bekommt meine Frau erklärt, wo es zu unserem Zimmer geht, wie man ins Internet kommt, welches Restaurant empfohlen wird. Das gehört zur Begrüßung. Empfangspersonen, die nicht einen Teil ihrer (Computer-)Arbeit am Empfang erledigen können, haben dort eine Klingel stehen und der Kunde muss eben ein bisschen warten. Das Hochrechnen dieser 2 Minuten auf Millionen Arbeitsstunden ist keine echte Information, wenn nicht dazu gesagt wird, wie groß die jährliche Gesamtarbeitszeit der Empfangspersonen ist. Wäre 0,5 Prozent der Arbeitszeit „für freundliche Begrüßung“ wirklich unnötige Bürokratie? Ich glaube, dass Bürokratie vielleicht auch deshalb zunimmt weil immer mehr Sonderwünsche berücksichtigt werden müssen.

Das Gesetz, das versucht, die Grundsteuer gerechter zu machen, ist zum Beispiel auch massiv kritisiert worden. Was ich dazu gelesen habe: Das Gesetz sei zu einfach und berücksichtige nicht genügend viele Sonderfälle. Wird mehr Gerechtigkeit eingebaut, wird es vielleicht notwendigerweise komplizierter – also bürokratischer. Sie sehen, ich kann mir nicht vorstellen, was genau mit „unnötig aufwendiger Bürokratie“ gemeint ist. Ich wäre für einen erklärenden Artikel dankbar.

Hermann Karcher, St. Augustin