Uli Hannemann Liebling der Massen
: In der Küche von Knoblauch­kräuterscharfsalatkomplett

Beim Friseur komme ich mal wieder nicht um das typische Gespräch herum. Ich blocke das zwar gern bis aufs Nötigste ab, aber theoretisch ist mir schon klar, dass Smalltalk dieser Art eine Errungenschaft der Zivilisation ist und weitaus eleganter die Steinaxt ersetzt, die man einander früher bei jeder Begegnung ansatzlos über die Rübe zog.

Besonders wichtig ist ein solches Appeasement bei Berufen, die aus gutem Grund den verstärkten Einsatz vertrauensbildender Maßnahmen erfordern. Das gilt auch für Friseure, die ja immerhin mit scharfem Gerät Arbeiten in Körpernähe ausführen. Hier kann ein belangloses Geplauder Wunder der Friedensarbeit bewirken.

Ob ich jetzt im Sommer wegführe, will der Friseur wissen. Das ist wohl das Standardthema der Saison. Jein, nicht so richtig, sage ich, bloß zehn Tage nach Bayern: Freunde, Verwandte. Er fragt dann, ob wir uns dort was ansehen oder eher was essen würden; Hayato ist Japaner und wirkt immer sehr an den Eigenheiten unseres skurrilen kleinen Landes interessiert.

Nee, meine ich, ich gucke mir nichts an, ich bin ja da aufgewachsen und habe alles schon gesehen, einmal reicht. Doch jedes Mal äße ich als Erstes eine Leberkäsesemmel. Und nun wird es kompliziert. Kein Leberkäse in Japan. Aus Leber?, fragt er, Käse? Käse oder Leber? Nein, sage ich, der Name täuscht, weder Käse noch Leber. Ein falscher Freund. Genau genommen gar kein Freund, sondern ein Feind der Blutwerte und des guten Geschmacks und aus keinem bestimmten Fleisch, eher aus allem Möglichen, Fleischabfälle halt, wie in Wurst.

Mir fällt auf, dass ich gerade nicht die allerbeste Werbung für die Queen Mum of Junk Food mache. Und, was für ein Dinosaurier ich eigentlich bin, da ich in einer Zeit, da viele versuchen, gar kein, weniger oder zumindest besseres Fleisch zu essen, mir dieses offensichtlich hochgradig Sucht erzeugende Nitrat-Würze-Fettgemisch reinsauge wie so ein Aasgeierküken.

Ich wisse auf einmal gar nicht mehr genau, warum ich das überhaupt äße und wie ich das beschreiben solle, sage ich bedrückt. Jedenfalls werde die breiige Masse aus organischem Sondermüll in einer Kastenform gebacken, bis sie außen dunkelbraun und kross ist und innen weich und rosa. Das ist wie so ’n Laib Brot, und da schneidet man dann auch so Scheiben ab. Unverschämt gut, sage ich, also für den, der das mag, also für den, dem alles egal ist. Ich steh ja total drauf. Leberkäse.

Das ist dann eher so 'ne Art Pastete?, rätselt der Friseur.

Ja, in der Form ähnlich, jedoch superprimitiv. Wie eine sehr schlechte Pastete für Leute, die froh sind, wenn sie wenigstens so eine „Pastete“ essen können anstatt gar keine. Man könnte Leberkäse auch aus Kobe-Rind zubereiten, versuche ich nun, in ihm womöglich vertrautere Parameter umzuswitchen, doch das verstieße gegen das deutsche Unreinheitsgebot für Fleisch, dem wir so sagenhafte Schweinereien verdanken wie Leberwurst, Sülze, Würzfleisch und nicht zuletzt Döner.

Döner ist übrigens der beste Beweis dafür, wie man allein durch ein wenig Germanisierung sogar eine exzellente Küche wie die türkische easy in den Dreck aus Knoblauchkräuterscharfsalatkomplett ziehen kann.

Und damit bin ich schon beim zweiten Hinderungsgrund: kulturelle Aneignung. Ich finde zwar, dass vor allem bei Musik und Essen ein zu dogmatischer Ansatz oft nicht hinhaut, aber das behalte ich lieber für mich, kicher. Schließlich bin ich viel zu privilegiert, um eine Meinung zu äußern, die obendrein noch meine ist.

„Ich glaube, ich würde es nicht machen“, sage ich zu Hayato. „Das passt auch nicht. Wurstsalat vielleicht, aber kein Leberkäse.“