Deutschland: Korridore für Wildtiere

Grünbrücken werden vor allem von Rothirschen genutzt Foto: Fo­to: Robert Grahn/picture alliance

Am Anfang ging es nur um ein paar Laufkäfer. Sie sollten aus ihrem von Straßen eingeengten Habitat befreit werden. Später wurde daraus der Plan, einen ökologischen Korridor für Wildtiere aller Art in Südbrandenburg zu errichten und diesen im Laufe der Zeit von Polen über Brandenburg bis nach Sachsen-Anhalt zu spannen. Und irgendwann vielleicht sogar über ganz Mitteleuropa.

Nach der Jahrtausendwende gründeten Naturschutzorganisationen und das Land Brandenburg die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg. Diese kaufte nicht nur vier ehemalige Truppenübungsplätze in Brandenburg auf, sondern wollte diese auch untereinander und mit nahen Naturparks vernetzen, um den Genaustausch und die klimabedingten Wanderungen von Wildtieren zu unterstützen. „Die meisten Arten können nicht isoliert bestehen, wie auf einer Insel“, erklärt Anika Niebrügge, Sprecherin und Koordinatorin des Projekts. „Wenn drum herum Barrieren sind, funktioniert es nicht auf Dauer.“ Denn wenn sich ihr Lebensraum erwärmt und ihre thermische Schwelle überschreitet, kann das Überleben der Art gefährdet sein. Ebenso durch fehlenden Austausch, der zu Inzucht führen kann.

Doch so einfach war die Vernetzung dann doch nicht. Zunächst mussten die Planer erstmal festlegen, wem sie überhaupt zur Wanderung verhelfen wollten. Sie entschieden sich für sogenannte Türöffnerarten: Landbewohner wie die Bechsteinfledermaus, für die Wälder vernetzt und so umgebaut werden müssen, dass sich genügend Totholz in ihnen befindet. „Davon profitieren viele andere Arten“, sagt Niebrügge. Und Wasserbewohner wie der Fischotter, der große, vernetzte Feuchtgebiete braucht. Das wiederum nützt auch Libellen oder Bibern.

Um die Routen auszuwählen, mussten die Planer sich in die Tiere hineinversetzen: Welchen Weg würden Rotwild, Wolf und Fledermaus nehmen? Förster und Jäger wurden befragt, Umweltbehörden werteten Jagdunfälle aus und Computermodelle berechneten den Weg des geringsten Widerstands für die Wildtiere. Daraus entstanden Karten mit potenziellen Routen sowie den Hindernissen, die es zu überbrücken galt: von Monokulturen geprägte Wälder und Felder, Siedlungen, vor allem aber Straßen und Schienen.

Jedes Jahr geraten unzählige Hasen, Rehe, Wildschweine, Igel und Füchse unter die Räder. Deshalb wurden seit dem Jahr 2007 an drei Orten Grünbrücken gebaut: Mit Wiese, Sträuchern und Bäumen bewachsene Querungen über Autobahnen. Dazu kommen hunderte Forstbrücken, Tunnel und Unterführungen.

In den monotonen Feldern und Wäldern entstanden Ruhezonen für die Arten, wie Moore, Mischwälder oder Sträucher an Waldrändern – sogenannte Trittsteine inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung, über die Tiere von Schutzgebiet zu Schutzgebiet springen können. Sofern sie mobil genug sind wie Vögel, Fledermäuse oder Insekten.

Um herauszufinden, ob die Arten all das auch tatsächlich nutzen, startete die Stiftung ein großes Wildtiermonitoring mit Fotofallen. Die Fotos belegten, dass die Tiere die Unter- oder Überführungen nutzen, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise. Da gibt es die Generalisten wie Rehe und Wölfe, die sich durch fast nichts aufhalten lassen. Da gibt es die Spezialisten wie den Rothirsch, der Autobahnen nur über bepflanzte Grünbrücken überquert. Und da gibt es die besonders Ängstlichen wie den Fischotter. „Eigentlich könnte er ja einfach unter Brücken hindurch schwimmen“, sagt Niebrügge. „Macht er aber nicht.“ Stattdessen geht er an Land und schlüpft hinter der Brücke zurück ins Wasser – angenommen, er schafft es heil über die Straße. Bekam er aber Uferstreifen unter den Brücken angelegt, etwa aus Steinen, dann tapste er dort entlang.

Vom großen Plan eines mitteleuropäischen Wildtierkorridors will heute in der Stiftung keiner mehr so recht reden – es fehlt an Geld, und die Flächen sind knapp. „In Deutschland muss man für jeden Quadratmeter Land, der noch nicht genutzt wird, argumentieren, warum man ihn der Natur überlassen will“, sagt Niebrügge. Deshalb kommt die Stiftung nur in Trippelschritten voran.

Rehe und Wölfe lassen sich nicht aufhalten, Fischotter zählen zu den Ängstlichen

Die Tiere kommen trotzdem schon: Wölfe und Elche aus Polen. Zu bundesweiter Bekanntheit hat es Elch Bert gebracht, der sich bei Beelitz einer Kuhherde angeschlossen hat. Aus dem Süden wandern wärmeliebende Arten ein wie die italienische Schönschrecke, die Dornfingerspinne und der Goldschakal. Sogar die Wildkatze soll sich schon geblickt haben lassen.