Renaissance der „Russischen Welt“

Vor der russischen Botschaft war zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine eine informative Installation aufgebaut

Von Katja Kollmann

Vor der russischen Botschaft war was los zum Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar. Praktisch, dass der Boulevard „Unter den Linden“ einen Flanier-Mittelstreifen hat, auf dem, wenn notwendig, direkte Botschaften an die russische Botschaft verkündet werden können. Will man dazu etwas aufstellen, dann hat das Bezirksamt Mitte ein Wörtchen mitzureden. Die Idee mit dem zerschossenen russischen Panzer vor der Botschaft fand das Bezirksamt erst gar nicht gut. Ein Gerichtsbeschluss schaffte Fakten, und so konnte Berlin-Story-Betreiber Enno Lenze den T-72-Panzer am letzten Wochenende als temporäres Mahnmal auf dem Mittelstreifen aufstellen.

Im Vergleich zu dem 44-Tonner war die Installation „Russkij Mir“ (dt. russische Welt) ein Leichtgewicht. Ein bisschen Erde wurde zwischen den kahlen Linden aufgeschüttet, eine gelbe Rohrkonstruktion darum gebaut, und in den Boden wurden Schilder gerammt. Ausreichend Material für das Zentrum für strategische Kommunikation und Informationssicherheit (eine Unterabteilung des ukrainischen Ministeriums für Kultur und Information), um den Vorübergehenden das Konzept der „Russischen Welt“ zu erklären.

Die gelbe Rohrkonstruktion steht für die Abhängigkeit vieler Staaten von russischen Rohstoffen. Sie finanzieren so ein autokratisches, Krieg führendes Regime. Auf den Tafeln im Inneren des Feldes stehen Verordnungen, die in der besetzten Ostukraine erlassen wurden. Die Bandbreite reicht von dem offen Korruption und Verschleierung begünstigenden Präsidentenerlass, der die Einnahmen aller Behörden gegenwärtig als geheime Verschlusssache deklariert, bis zu gesetzlich abgesicherten Freibriefen zum Foltern und Töten Andersdenkender in den besetzten Gebieten.

Auf dem größten Schild steht „Russkij Mir“. Für Ralph Fücks vom Zentrum für liberale Moderne ist „Russische Welt“ heute der Kampfbegriff des russischen Neoimperialismus. Er stehe für die Unterdrückung der nichtrussischen Völker und Nationen und generell für die Rechtlosigkeit der Menschen unter Putins Herrschaft, sagte er bei der Eröffnung der Installation letzte Woche.

Ideengeschichtlich entstammt der Begriff der imperialen Ideologie des 19. Jahrhunderts. Im Laufe der Zeit entwickelte er sich von einer poetischen Metapher zu einem ideologischen, geopolitischen Konzept und vereint antiwestliches, antiliberales und neoimperialistisches Denken. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebte die Idee von „Russkij Mir“ eine Renaissance und wurde unter russischen Intellektuellen lebhaft diskutiert. 2007 gründete Wladimir Putin die Stiftung „Russkij Mir“ und übernahm den Begriff als politische Programmatik. 2014 nach der Annexion von Krim und Ostukraine hatte der Terminus Hochkonjunktur: So kommt er satte vier Mal in der Präambel der Verfassung der „Volksrepublik Donezk“ vor.

Hört man Putin zu, hat man den Eindruck, er hat bei Nikolai I. abgeschrieben. Der veröffentlichte am 14. März 1848 ein Zarenmanifest mit dem bezeichnenden Titel „Über die Vorkommnisse in Europa“. Seine Erkenntnis aus dem Aufbegehren der Europäer gegen den Absolutismus: Russland ist von Feinden umgeben und muss sich überall, nicht nur innerhalb seiner Grenzen, verteidigen.

Gegenüber der russischen Botschaft steht auch ein grauer Container, so schmal wie die Isolierzellen in russischen Straflagern. Der Nawalny-Stab hat ihn aufgestellt. Er ist ein Abbild des gegenwärtigen Lebensraums von Alexej Nawalny, Putins gefährlichstem innenpolitischen Gegner. Man geht hinein und kann sich gerade mal dreimal umdrehen.