ORTSTERMIN: FESTAKT DER 275-JAHRFEIER DER UNI GÖTTINGEN
: Murphys denkwürdiger Satz

Das Schrillen der Trillerpfeifen dringt immer noch durch die geöffneten Fenster in den Festsaal

Maj-Britt Sundqvist fällt auf in ihrer ausgefransten kurzen Hose und den dunklen Lederstiefeln. Sie passt nicht zwischen die anderen Gästen, die in Anzug oder Kostüm die Treppe hochgehen. Am Eingang der alten Aula hält ein Sicherheitsmann sie auf. Ob sie auf der Gästeliste stehe? Ja, schließlich soll sie eine Rede halten. Eine Frau mit einem Funkgerät kommt, sie fragt nach dem Ausweis der jungen Frau, nickt und sagt: „Dann dürfen Sie nicht nur reingehen, sondern auch in der ersten Reihe sitzen.“

Wenige Minuten später haben die Gäste alle Platz genommen, der Festakt zur 275-Jahrfeier der Georg-August-Universität Göttingen hat offiziell mit einem Stück von Beethoven begonnen. Am Rednerpult steht der amerikanische Botschafter Philip Murphy. Er begrüßt die anderen Ehrengäste, dann schaut er zu Sundqvist und Tobias Fritzsche, Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta), und sagt mit amerikanischen Akzent: „Und was hier vielleicht am wichtigsten ist: Liebe Vertreter der Studierenden.“

Ein denkwürdiger Satz, der nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Nicht nur, weil Murphy einer der wenigen Redner ist, der explizit die Studenten begrüßt, sondern weil zwei der 500 geladenen Gäste in der alten Aula am Wilhelmsplatz Studierende sind. Zwei von mehr als 25.000, die in Südniedersachsen studieren.

Draußen, vor dem alten Gebäude auf dem Wilhelmsplatz, haben sich weitere Studenten gesammelt. Sie wollen aber nicht an der Festveranstaltung teilnehmen, sondern für mehr Teilhabe in der Universität und gegen Studiengebühren protestieren. Die Mitte des Platzes ist mit Gittern abgesperrt, mehrere hundert Polizisten sind im Einsatz. Die etwa 400 Demonstranten halten bunte Fahnen und Banner hoch, „Bildung geht baden!?!“ steht auf einem, „kostenfreie Bildung“ auf einem anderen. Mit Pfiffen und Buhrufen begrüßen sie einige der geladenen Gäste. Besonders laut wird der Protest bei der Ankunft des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister (CDU).

Der sitzt nun drinnen in der Aula, erste Reihe, neben der Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel. Er hat gerade in seiner Ansprache die Universität Göttingen als ein Aushängeschild für Niedersachsen gelobt, die „heute wie vor 275 Jahren Maßstäbe für Wissenschaft und Forschung legt“. Das Schrillen der Trillerpfeifen dringt immer noch durch die geöffneten Fenster in den Festsaal, als Sundqvist und Fritzsche ans Rednerpult treten.

Mit ihrer Rede setzen sie den ersten kritischen Akzent bei dieser Feier. Das Erfolgskonzept der Universität sei seit 275 ihre Lehrvielfalt, die jetzt aber durch eine unausgewogene Verteilung von Geldern in Gefahr sei. „Gelder werden dazu verwendet, eine kleine Elite herauszubilden, während andere jeden Cent zweimal umdrehen müssen“, sagt Sundqvist. Die Demonstranten vor dem Gebäude können das nicht hören. Sie warten auf das Ende der Veranstaltung, auf den Moment, in dem die Gäste die Aula verlassen und zum Sektempfang gehen. Dann wollen sie noch einmal ihre Wut rauslassen.

Für den Ministerpräsident McAllister wird dies am Ende zu einem Spießrutenlauf. Begleitet von lauten Pfiffen und Buhrufen verlässt er mit den anderen Gästen langsam die alte Aula. Mit regungslosem Gesicht geht er, umringt von seinen Personenschützern, auf den gegenüberliegenden Eingang der Mensa zu. Hier soll jetzt auf 275 Jahre Georg-August-Universität angestoßen werden.  CHRISTOPHER PILTZ