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Aus der Sexarbeit heraus und an die Nähmaschine

Miquelina heißt die ungewöhnlichste Textilfabrik Kolumbiens. Sie wird von Nonnen gemanagt, verschafft Frauen aus dem Rotlichtmilieu Bogotás eine Ausbildung, zahlt fair und beliefert das britische Outdoor-Label Páramo. Eine Erfolgsgeschichte

Die ISO 9001 ist die national und international meistverbreitete Norm im Qualitätsmanagement (QM). Durch strukturierte und überschaubare Prozesse sowie Verantwortlichkeiten bildet ein QM-System einen wichtigen, auf das Unternehmen zugeschnittenen Baustein für ganzheitliches Management. Dies unterstützt bei der Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen. Entsprechende Kommunikation, Information und Schulung motiviert Mitarbeiter. Ein QM-System bildet die Grundlage für eine lernende und sich konti­nuierlich verbessernde Organisation. Der weltweit anerkannte Standard legt die Mindestanforderungen an ein QM-System fest. Eine Zertifizierung, etwa durch den TÜV, bescheinigt die Einhaltung der ISO 9001.

Von Knut Henkel

Sandra Ruíz lässt die Nähmaschine rattern. „Nur ein paar Sekunden noch, um die Jacke fertigzumachen“, nuschelt sie unter dem Mundschutz, als sie merkt, dass sie beobachtet wird. Dann drückt sie wieder aufs Pedal. Schließlich blickt sie zu Claudia Camila Caro auf: „Fertig“, erklärt sie zufrieden und zieht die rote Jacke mit dem „Páramo“-Logo vorsichtig unter der Nadel hervor.

Claudia Camila Caro arbeitet in der Endkontrolle bei „Creaciones Miquelina“, einer Textilfabrik in Bogotás Süden. Serafina heißt das Arbeiterviertel, rund zwanzig Fahrminuten vom Zentrum der kolumbianischen Hauptstadt entfernt, wo mehr als 200 Frauen arbeiten. Jacken, Outdoor-Kleidung und Co werden hier genäht, danach gewaschen, gebügelt, verpackt und in größeren Stückzahlen nach England verschickt. „Dort sitzt unser wichtigster Auftraggeber. Für den produzieren wir rund 70 Prozent unseres Outputs“, erklärt Caro. Sie hat heute noch etwas länger zu tun als die Näherinnen, von denen die meisten bereits ihren Arbeitsplatz verlassen haben.

Seit Ende April 2021 wird in der Fabrik wieder gearbeitet. so Sandras Marcela Delgado. Sie leitet die etwas andere Fabrik im geistlichen Auftrag. Ciu­dadela María Micaela heißt der Gebäudekomplex der „Religiosas Adoratrices“, eines Nonnenordens, der sich dem Credo verpflichtet hat, Frauen aus der Pros­titution zu holen. Sandra Ruíz ist eine von ihnen. Ein Maßband baumelt um ihren Hals, den Mundschutz hat sie heruntergezogen, um besser verstanden zu werden. Wie viele andere aus der Belegschaft wohnt sie gleich um die Ecke im Stadtteil Serafina. Dort haben die Nonnen des Ordens die Fabrik, Ausbildungswerkstätten, inklusive Kantine, Kindergarten und kleiner Kapelle aufgebaut. Für Sandra Ruíz ist die kleine Stadt zu einer zweiten Heimat geworden. „Die Nonnen haben mich aus der Prostitution geholt, mir eine zweite Chance gegeben und die habe ich ergriffen“, sagt Sandra Ruíz mit fester Stimme.

„Bevor die Hermanas mich endlich überzeugen konnten, es mit ihnen zu versuchen, lebte ich auf der Straße, habe meinen Körper verkauft, Drogen konsumiert und immer wieder Gewalterfahrungen gemacht.“ Der Orden der Hermanas Adoratrices (Schwestern der Anbetung) wurde 1856 in Madrid gegründet, hat zum Ziel, Frauen aus der Prostitution zu holen, arbeitet seit 1929 in Bogotá und ist gezielt in den Rotlichtvierteln der Stadt wie Santa Fé im Zentrum unterwegs. Die Schwestern haben Frauen wie Sandra Ruíz und die Zuschneiderin Amparo Chambo zum Ausstieg aus Prostitution und Drogen bewegt, wobei Psychologinnen, Therapeuten und Sozialarbeiterinnen helfen. Luz Fanny Serrano ist eine von ihnen und hat ihr Büro im ersten Stock über den Arbeitsräumen der Näherinnen. „Wir nehmen auf, entgiften, therapieren und bilden aus“, schildert sie den Ablauf des Programms. „Wer das alles durchhält, hat eine Chance auf einen Job unten in der Textilfabrik.“ Diese ist die letzte, vierte Etappe des Reintegrationsprogramms.

All das wäre ohne einen festen Auftraggeber kaum möglich, den die Nonnen in dem britischen Outdoorlabel Páramo gefunden haben. Gemeinsam wachsen, so lautet seit nunmehr 25 Jahren die Devise der ungewöhnlichen Kooperation zwischen Südengland und Süd-Bogotá. Páramo heißt das britische Outdoorlabel, welches seit 1992 in der stetig weiter ausgebauten Fabrik „Creaciones Miquelina bestellt. Das sei kein Zufall, so Páramo-Direktor Gareth Mottram: „Es gibt mehrere Gründe, weshalb wir uns für Miquelina entschieden haben: Zuerst einmal denken wir, dass ein derartiges Reintegrationsprojekt für Frauen in Not unsere Unterstützung verdient. Ich habe in Bogotá gelebt.“ Nick Brown, der Sohn des Páramo-Gründers, sei dort teilweise aufgewachsen. „Wir sind uns sicher“, so Mottram, „dass dieses Projekt dazu beiträgt, auf Stadtteilebene alternative Strukturen aufzubauen – das wollen wir unterstützen.“

Psy­cho­lo­gin­nen, Therapeuten und So­zi­al­ar­bei­te­rin­nen helfen, wenn es Probleme gibt

Ende der 1970er Jahre hat alles mit zwei Nähmaschinen begonnen, heute gehören 235 Frauen zur Belegschaft, die Löhne oberhalb des kolumbianischen Mindestlohns erhalten. Es gibt einen Kindergarten, Psy­cho­lo­g:in­nen und Sozialarbeiter:innen, die helfen, wenn es Probleme gibt. „Der Absprung aus der Prostitution in ein würdevolles Leben ist nicht einfach“, erklärt Hermana Luz Fanny Serrano. „Viele der Frauen haben Schreckliches erlebt, Angehörige verloren, Missbrauch, waren drogenabhängig – das schiebt niemand einfach beiseite.“ Ein Alltag mit klaren Regeln, Zeitvorgaben in einem Produktionsprozess, wo die Frauen sich gegenseitig helfen, sei so ziemlich das Gegenteil von dem, was viele der Frauen vorher gelebt haben.

Um das zu ermöglichen, kümmert sich die hagere Nonne mit den optimistisch funkelnden graublauen Augen und der strengen Tracht. Um die Fabrik und die Abwicklung der Aufträge kümmert sich hingegen Sandra Marcela Delgado, die Koordinatorin, die ihr Büro gleich gegenüber hat. Die Industrieingenieurin, die vor drei Jahren das Management von Creaciones Miquelina übernahm, hat die Produktionsstruktur nach zwei miesen Jahren umgestellt, und erklärtes Ziel ist es, die Produktionskapazität auszubauen. „Wir haben eine soziale Mission, eine Verpflichtung gegenüber den Frauen, und je mehr Jobs wir anbieten können, desto besser“, sagt sie.

Dabei hilft, dass Creaciones Miquelina nicht nur nach Fair-Trade-Kriterien, sondern auch nach ISO 9001 zertifiziert ist. Das soll helfen, neue Auftraggeber zu akquirieren, um die Textilfabrik breiter aufstellen. Alles andere als einfach. Doch dabei hilft, dass Páramo den Prozess unterstützt und die Tatsache, dass aufwendige, detaillierte Outdoor-Mode bereits hergestellt wird, hofft Sandra Marcela Delgado. Sie hat ihre Fühler bereits in den deutschen Markt ausgestreckt, und dabei könnte auch die Tatsache helfen, dass die ungewöhnliche Fabrik nicht nur für die deutsche Caritas genäht hat, sondern auch von dieser kirchlichen Hilfs­organisation unterstützt wird.