Neue deutsche Hoffnung

Tennis in Wimbledon: In Jule Niemeier steht eine Nachfolgerin für die Generation Kerber, Görges und Petković bereit

„Ich schaue erst mal auf mich und meine Karriere“

Jule Niemeier, Nummer 97 der Weltrangliste

Von Jörg Allmeroth

Auf dem Außencourt 11 im Rasenreich von Wimbledon sah Jule Niemeier am Eröffnungstag nicht wie eine Debütantin aus: Konzentriert, zupackend und selbstbewusst ging die 22-jährige Dortmunderin bei ihrem ersten Hauptfeldmatch an der Church Road ans Werk. Nach 75 Minuten war dann die Premiere mit einem 6:1, 6:4-Sieg gegen die Chinesin Wang Xiyu geglückt.

Mehr als zufrieden sei der Turnierstart verlaufen, befand die Gewinnerin, die derzeit ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Frauentennis aufweist. Denn Niemeier ist die einzige deutsche Spielerin unter 30 Jahren, die unter den Top 100 der Weltrangliste steht. Niemeier ist gewissermaßen die Frontfrau einer Generation, die eher früher als später die Nachfolge der goldenen DTB-Truppe um Angelique Kerber, Julia Görges, Andrea Petkovićund Sabine Lisicki antreten muss. Görges, ehemals Top-Ten-Kraft, hat dem Tennis im vergangenen Jahr bereits Lebwohl gesagt, Kerber und Co werden in nicht allzu ferner Zukunft folgen.

Großen Druck, in die Fußstapfen der Asse treten zu müssen, verspürt sie nicht, sagt Niemeier: „Ich schaue erst mal auf mich und meine Karriere. Der Weg bis hierhin war schon schwer genug.“ Niemeier, leidenschaftliche BVB-Anhängerin, wurde immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen. Um eine komplizierte Schulter­blessur auszukurieren, wechselte sie sogar von der Frankfurter Tennis University nach Regensburg zu Physiotherapeut Florian Zitzelsberger, der die Probleme dann auch in den Griff bekam.

Ohne Schmerzen und Sorgen zu spielen, war danach wie eine Erlösung, sagt Niemeier. Ganz nebenher übernahm dann erst mal auch der erfahrene Coach Michael Geserer das Kommando bei der Westfälin, die sich langsam, beharrlich und stetig in der Weltrangliste verbesserte. Inzwischen trat Geserer als Chef des Regensburger Tenniszentrums den Trainerjob an Ex-Doppelgröße Christopher Kas ab, einen Mann, der für gute Arbeitsatmosphäre und Positivität in allen Lebenslagen steht.

Niemeier ist eine Spielerin, die beherzt ihre Chancen sucht. Aber dabei noch den gesunden Mittelweg finden muss, Power mit Präzision zu kombinieren. „Sie hat enormes Potenzial“, sagt DTB-Frauenchefin Barbara Rittner, „ich glaube an ihren Durchbruch nach oben.“ Schon oft war Niemeier sehr nahe dran an größeren Coups, beispielsweise als sie letztes Jahr ihr Debüt auf der WTA-Tour mit einem Halbfinaleinzug in Straßburg veredelte.

Nur knapp verlor sie damals gegen die Tschechin Barbora Krejčíková, die wenig später die French-Open-Krone eroberte. Auch in diesem Frühling stand Niemeier mehrfach knapp vor bemerkenswerten Siegen, schied erst nach Drei-Satz-Dramen in Berlin gegen Olympiasiegerin Belinda Bencic und in Bad Homburg gegen die Weltranglisten-Dreizehnte Daria Kasatkina aus. Auch bei den French Open fehlte nach überstandener Qualifikation zuletzt nicht viel, um beim allerersten Grand-Slam-Hauptfeldmatch gegen die einstige US-Open-Siegerin Sloane Stephens als Siegerin vom Platz zu gehen.

Auch in Wimbledon wird es nun gleich knifflig für die wuchtige Athletin, in Runde zwei wartet die Nummer zwei der Welt, die Estin Anett Kontaveit. Angst vor großen Namen hat Niemeier nicht, Respekt schon. „Es wäre schön, noch länger im Turnier zu bleiben. Ich werde absolut alles geben“, sagt sie.