Vereint in Jüterbog

800 Menschen demonstrierten in Jüterbog gegen Hartz IV. Aufgerufen hatten Initiativen aus vielen Städten Brandenburgs. Die Redner betonten, wie wichtig der Kampf gegen die Resignation von Langzeitarbeitslosen ist

Es war ein Anfang, der sich sehen lassen konnte: Zur ersten überregionalen Demonstration Brandenburgs gegen die Hartz-IV-Reformen kamen am Samstag rund 800 Menschen aus 20 Städten nach Jüterbog, der Kleinstadt südlich von Berlin. Ihr Motto: „Nicht einsam – Gemeinsam gegen den Sozialabbau“. „Wir sind hier, um uns gegenseitig Mut zu machen“, schallte es von der Bühne. Der Kampf gegen die Resignation von Langzeitarbeitslosen war ein Thema in vielen Redebeiträgen. „Sie schimpfen alle, aber keiner geht auf die Straße“, sagt Moderator Anton Gorisek.

Die Teilnehmer zogen eine durchwachsene Bilanz ihrer bisherigen Aktionen: Kein Redner, keine Rednerin der lokalen Aktionsgruppen gab vor, sehr viel erreicht zu haben. „Aber wir haben die Sensibilität dafür aufrechterhalten, dass etwas faul ist mit Hartz IV“, sagte Rainer Mehlin aus Eisenhüttenstadt.

Peter Grottian vom Berliner Sozialforum, mit tosendem Beifall empfangen, wollte zum Mutmachen hingegen eher hochstapeln und verbuchte Schröders Quasi-Rücktritt als Erfolg der hartnäckigen Montagsdemonstrationen. „Ihr habt den Selbstzerlegungsprozess der SPD wie ein Katalysator dynamisiert. Wir haben keinen Grund zu jammern. Der Tag nach der Niederlage dieser Politik ist für uns ein ganz großer Tag des Widerstandes“, donnerte seine Stimme über den nur halb gefüllten Platz.

Das Programm der WASG kritisierte Grottian als wenig radikal, ohne klare Positionierung für ein angemessenes Mindesteinkommen und gegen Arbeitszeitverlängerungen. Gregor Gysis und Oskar Lafontaines Liebäugeln mit einer SPD-Koalition kommentierte der Politologe mit „Die spinnen doch“. Applaus gab es auch für seinen Aufruf, den zivilen Ungehorsam zu radikalisieren, der „gewaltfrei den Herrschenden wehtun“ soll.

Gejammert wurde trotzdem, wenn auch durchmischt mit kämpferischen Tönen. Das tiefe Gefühl der Demütigung durch 1-Euro-Jobs statt Lohnarbeit, das Ausspioniertwerden durch die Behörden und die Beschimpfungen als Faulenzer und Drückeberger in Medien und aus Politikermund spiegelten sich in unangemessenen Vergleichen und Selbstinszenierungen wider. Da wurde von der Bühne herunter behauptet, selbst Strafgefangene hätten es besser als ALG-II-Empfänger, und eine Gruppe von Demonstranten stellte mit ihren Kostümen die „Überflüssigen“ des Jahres 2005 in eine historische Reihe mit Leibeigenen und KZ-Häftlingen. Harter Tobak war auch der scheppernde Kommentar zur Veranstaltung aus einem Demonstrantenmegafon: „Hier hört ihr den Angstschrei des Volkes.“

Das Megafon kam mehrmals volkstümlich zum Einsatz, etwa im Kulturprogramm. Nachdem die „ADS-Liveband“, eine Punk-Gruppe aus Königs Wusterhausen, in englischer Sprache gespielt hatte, wurde sie aufgefordert, deutsche Lieder zu singen. Das tat die Band dann auch gerne und spielte „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ von der Punkgruppe Slime in leichter Abwandlung zum Thema Hartz IV – und nicht ohne das Publikum zum Mitsingen aufzufordern. BEATE SELDERS