Gereifte Jungs

Bayer Leverkusen empfängt am Sonntag den punktgleichen FC Bayern München. Die Werkself präsentiert sich stabil wie lange nicht

Der neue Trend am Niederrhein: Bayer Leverkusen wird sexy Foto: Gentsch/dpa

Aus Leverkusen Andreas Morbach

Der Leverkusener Motivationskreis verdankt seine Gründung einem dunklen Wintertag im Ruhrgebiet. Im morastigen Geläuf des Viertligisten Rot-Weiss Essen blieben Bayers Bundesligakicker Anfang Februar stecken, leisteten sich dort eine peinliche Pokalpleite – die ihren Abwehrchef umgehend auf den Plan rief: Auf Jonathan Tahs Initiative hin kommen die Mitglieder der Werkself seit dem schwarzen Abend in Essen vor jeder Partie zusammen, um sich gegenseitig anzufeuern. Im Frühjahr half diese Maßnahme immerhin dabei, am Saisonende noch die Eintrittskarte in die Europa League zu ergattern. Und nun, fünf Monate später, reicht es für Bayer 04 schon zu einem Spitzenspiel gegen die Bayern am Sonntag.

Der Abonnementsmeister star­tet zwar auch in das Gipfeltreffen in der BayArena als Tabellenführer, doch der Vorsprung auf den ersten Verfolger Leverkusen beträgt gerade mal vier Treffer. Im vergangenen Jahr war die Konstellation schon mal ähnlich wie jetzt: Fünf Tage vor Heiligabend empfingen die Rheinländer die Bayern damals sogar als Spitzenreiter, unterlagen dann aber 1:2. Auch weil Jonathan Tah in der Nachspielzeit patzte.

Inzwischen steht der 25-Jährige der nach Freiburg und Mainz drittbesten Defensive der Liga vor. Auch wenn er für die EM im Sommer von Hansi Flick nicht berücksichtigt wurde. Seinen Vertrag in Leverkusen hat der dreizehnmalige Nationalspieler Ende September bis 2025 verlängert. Und mit Gerardo Seoane bekam er im Sommer einen neuen Cheftrainer vorgesetzt, der nicht nur in puncto Sprachbegabung ähnlich veranlagt ist wie Tah, sondern auch ein glühender Verfechter des Teamgedankens ist.

Tah spricht neben Deutsch und Englisch noch Französisch und Spanisch, der gebürtige Luzerner Seoane beherrscht zusätzlich noch Portugiesisch und Italienisch perfekt. Der 42-jährige Coach agiert als polyglotter Dompteur eines Ensembles, dem er für die Partie gegen die Bayern mit auf den Weg gibt: „Solche Spitzenspiele sind immens wichtig für die Entwicklung – sowohl des einzelnen Spielers als auch des gesamten Teams. Dort sammelt man andere Erfahrungswerte, wächst an seinen Aufgaben. Jüngere Spieler wahrscheinlich noch mehr als ältere.“

Ein besonders junger Akteur in den Reihen der Bayern-Jäger ist Florian Wirtz. Mit sechs Toren und fünf Vorlagen in acht Pflichtspieleinsätzen in der laufenden Runde hat der 18-Jährige einen großen Anteil am aktuellen Leverkusener Höhenflug. Nach dem 3:1-Sieg in Unterzahl vor einem Monat in Stuttgart zeigte sich Tah „fasziniert“, wie viel der hochbegabte Teenager Wirtz auch in kämpferischer Hinsicht anzubieten hatte. Und generell stellt der Leverkusener Innenverteidiger im Vergleich zur Vorsaison fest: „Wir sind erwachsener geworden – auch wenn wir insgesamt jünger sind.“

„Wir sind erwachsener, auch wenn wir insgesamt jünger sind“

Jonathan Tah, Bayer Leverkusen

Diese gereifte Rasselbande empfängt nun einen Gegner, der vor zwei Wochen gegen Frankfurt seine erste Saison­nie­der­lage kassierte. Münchens französischer Nationalspieler Lucas Hernandez muss am nächsten Dienstag, einen Tag vor der Champions-League-Partie der Münchner bei Benfica Lissabon, wegen eines Verstoßes gegen das Annäherungs- und Kontaktverbot vor dem 32. Strafgericht in Madrid erscheinen. Und mit Robert Lewandowski, zuletzt in vier Pflichtspielen in Folge ohne Treffer, beschäftigt der Branchenführer zudem einen Goalgetter, der sich angeblich gerade Gedanken über einen Abschied vom FCB nach dieser Saison macht.

„Völlig unverständlich, aber auch das passiert jedem Fußballer mal“, kommentiert Herbert Hainer Lewandowskis momentane Torflaute. Und zum anstehenden Duell sagt der Bayern-­Präsident: „Ich freue mich riesig darauf, bin sehr positiv gestimmt – und denke, wir werden das Spiel gewinnen.“

Auch Julian Nagelsmann freut sich auf ein „echtes Spitzenspiel“, gegenüber der Münchner Abendzeitung zeigte er sich zudem beeindruckt vom Herausforderer: „Leverkusen macht es unglaublich stabil. Ich habe sie in jedem Jahr auf dem Zettel – weil ich finde, dass sie einen guten Blick für Spieler und einen qualitativ hochwertigen Kader haben.“ Wenn man bedenke, wie jung die meisten Bayer-Spieler sind, sei das „schon stark“, applaudiert Nagelsmann. Und dementsprechend begrüßt Jonathan Tah, der Gründer des Leverkusener Motivationskreises, den Besuch aus dem Freistaat nun auch mit dem Bekenntnis: „Wir sind alle heiß auf das Spiel.“