Erfahrene Hebammen im Nachteil

Seit 2020 werden Hebammen nur noch akademisch ausgebildet. In Bremen fehlt die Möglichkeit, sich Praxis und Weiterbildungen anrechnen zu lassen

Der Weg durch den Geburtskanal wird auch an der Uni gelehrt Foto: Uli Deck/dpa

VonKim Torster

Für Hebammen, die nach altem Recht nicht akademisch ausgebildet wurden, entwickelt Bremen derzeit ein Studienprogramm. Damit sollen die Hebammen nachträglich den Bachelor-Titel erwerben können. Das teilten die Hochschule Bremen und eine Sprecherin des Wissenschaftsressorts auf Anfrage der taz mit.

In den vergangenen Monaten hatte es Kritik an der geplanten Ausführung des neuen Hebammengesetzes gegeben, das seit Januar 2020 in Kraft ist. Das Gesetz sieht vor, dass Hebammen nur noch an Hochschulen ausgebildet werden dürfen.

Heike Schiffling, Vorsitzende des Hebammenlandesverbandes Bremen, begrüßt die Akademisierung des Hebammenberufs, kritisiert aber, dass das geplante Bremer Durchführungsgesetz nicht regele, wie mit Hebammen umgegangen wird, die keinen akademischen Titel tragen.

Bisher sah der Gesetzentwurf vor, dass altrechtlich ausgebildete Hebammen ohne akademischen Titel weiterarbeiten dürfen, aber keine Möglichkeit haben, sich ihre teils mehrere Jahrzehnte lange Berufserfahrung sowie bereits absolvierte Weiterbildungen auf ein Studium anrechnen zu lassen. Für Schiffling ist klar: „Hier wird Potenzial verschenkt.“ Auch in der Lehre würden Kol­le­g*in­nen mit Praxiserfahrung gebraucht, sagt sie. Um zu lehren, braucht es aber den akademischen Titel.

Aktuell bleibt Hebammen, die ihr Examen nach altem Recht gemacht haben, nichts anderes übrig, als mit einem Bachelor-Studium von vorn zu beginnen. Der internationale Studiengang Hebammen wurde in Bremen erstmals im Oktober 2020 aufgenommen. Für die Hebammen bedeutet das mindestens drei weitere Jahre akademische Ausbildung – länger, wenn sie das Studium nicht in Vollzeit absolvieren können. Trotzdem hätten sich bereits einige Kol­le­g*in­nen dazu entschieden, sagt Schiffling.

Das erste Fazit fällt, laut Schiffling, ernüchternd aus: Die Studierenden berichteten, dass das Studium für sie aus Wiederholungen des bereits Gelernten bestehen würde. „Für sie fühlt es sich an wie ein Zeit absitzen“, sagt Schiffling.

Aktuell arbeite man an einer Lösung des Problems, teilt Sara Bergemann mit, Sprecherin des Wissenschaftsressort. Die ursprünglich für Mai geplante Verabschiedung des Ausführungsgesetzes in der Bürgerschaft wurde deshalb verschoben. Man befinde sich im Austausch mit allen relevanten Akteur*innen, bestätigt Barbara Baumgärtner, Leiterin des neuen Studiengangs Hebammen an der Hochschule Bremen. Ziel sei es, zum Wintersemester 2022/23 ein spezielles Studienprogramm für altrechtlich ausgebildete Hebammen anbieten zu können. Die Entscheidung über die Einrichtung des Studienprogramms obliege am Ende aber der Senatorin für Wissenschaft.

„Hier wird Potenzial verschenkt“

Heike Schiffling, Hebammen­landesverband Bremen

Schiffling befürchtet, dass das geplante Studienprogramm wenig Erleichterung bringt. Sie sagt, man plane mit einer Art abgespecktem Bachelorprogramm: Statt der sonst üblichen 180 ECTS-Punkte (auch Credit Points genannt), sollen altrechtlich ausgebildete Hebammen nur die Hälfte, also 90 Punkte, erwerben müssen, um den Bachelorgrad zu erreichen. Das bedeute, dass die Hebammen 1,5 Jahre in Vollzeit, oder drei Jahre berufsbegleitend studieren müssten. Schon allein wegen des Fachkräftemangels im Hebammenberuf sei das eine Regelung, die vermutlich Probleme mit sich bringen würde, sagt Schiffling. Zumal viele altrechtlich ausgebildete Hebammen bereits Interesse am Studium angemeldet hätten.

Schiffling verweist auf Länder wie die Schweiz oder Österreich, wo der Bachelor-Titel für ausgebildete Hebammen im Zuge der Akademisierung des Berufs deutlich schneller erreicht werden kann. In Österreich dürften altrechtlich ausgebildete Hebammen sogar ohne weitere Nachweise ein Masterstudium beginnen.

Für Deutschland und Bremen hat Schiffling bescheidenere Wünsche. Wenn es nach ihr ginge, sollten auch etwaige Weiterbildungen von Hebammen, die schon einige Jahre im Beruf sind, eingerechnet werden. Der Vorschlag des Landesverbandes sieht vor, dass Hebammen – zusätzlich zum Examen nach altem Recht – Weiterbildungen im Umfang von 200 Stunden vorweisen oder nachträglich ein 150 Stunden umfassendes, wissenschaftlich angelegtes Modul belegen müssen, um den Bachelor führen zu dürfen. Nach diesem Modell könnten Hebammen den akademischen Titel auch neben einer Vollzeitstelle erwerben.