Mit satter Musik gegen die Tristesse

In der Prignitz existiert eine lebendige Jugend-Musikszene. Sie zeigt sich bei Festivals in den nächsten Wochen

„Es passiert“ – der Name der Initiative ist ihr Programm. Klein haben sie angefangen, eine Hand voll junger Männer und Frauen im brandenburgischen Landkreis Prignitz. Sie hatten die Nase voll von der provinziellen Tristesse, den öden Landdiskos und den weiten Wegen dorthin, wo etwas los ist. Also mussten sie selbst etwas machen. Zu ihrem ersten Festival Prignozert vor fünf Jahren kamen rund 300 Leute. Im vergangenen Jahr waren es schon über 1.000.

Die inzwischen etablierte Veranstaltung soll die lokale Jugendmusikszene stärken und damit auch rechtsextreme Einflüsse eindämmen. „Wir hatten von Anfang an ein Mischkonzept: bekannte Namen zusammen mit lokalen Bands in einem gemeinsamen Programm auf die Bühne bringen und dabei möglichst viele Stilrichtungen und Szenen verbinden. Dazu gibt es ein kulturelles Rahmenprogramm zum Thema Toleranz und den Versuch, die wenigen ausländischen Jugendlichen im Landkreis aktiv einzubeziehen“, erläutert Mitbegründer Matthias Porep. Herausgekommen dieses Jahr ein Stilmix aus Ragga, Crossover über Punk-, Ska- und Indierock bis zum „Russian Speed Folk“ der Band 44 Leningrad.

Der Erfolg ist hart erarbeitet, denn die Bedingungen für eine kontinuierliche Entwicklung von Jugendkultur sind in der Region denkbar schlecht. Die Prignitz im Nordwesten Brandenburgs hat außer einer unspektakulär schönen Landschaft vor allem einen zwiespältigen Vorzug: Mit einer Bevölkerungsdichte von nur 44 Einwohnern pro Quadratkilometer ist der Landstrich geradezu menschenleer.

Wittenberge an der Elbe, auf halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin, war ehemals das industrielle Zentrum der Region. In den vergangenen 15 Jahren hat die Stadt die meisten ihrer Produktionsstätten und ein Drittel der Bevölkerung verloren. Sinkende Schülerzahlen und der Kampf um den Erhalt von Schulstandorten bestimmen die öffentliche Debatte zum Thema Jugend im Landkreis.

„Es ist alles sehr schnelllebig, weil die Leute weggehen“, erklärt Susann Hartwig von der Initiative „Es passiert“. „Man hat nur die Zeit der letzten Schuljahre bis zum Ausbildungsbeginn, um etwas aufzubauen. Wir werden wahrscheinlich auch weggehen müssen, obwohl wir alle hier bleiben wollen.“

Doch nicht nur der Ausbildungs- oder Arbeitsplatzmangel treibt sie weg. „Den älteren Herrschaften wird mehr gegönnt und mehr Gehör geschenkt als uns“, meint René Jahns, und Matthias ergänzt: „Die Jugend in der Region wird politisch totgesagt. Und für etwas, was es nicht gibt, braucht man auch kein Geld auszugeben.“ Einen festen Etat für ihr Festival-Projekt wünschen sie sich, um die Risiken abzusichern und sich das mühsame jährliche Klinkenputzen bei Sponsoren zu ersparen.

Das frustriert. Aber allen Widrigkeiten zum Trotz gibt es neben dem Prignozert noch zwei ähnliche Initiativen mit kleineren lokalen Festivals. Einzelne Bands wie Fake oder Soulfightazz spielen dabei – teilweise als (Mit-)Organisatoren – eine wichtige sozialisierende Rolle für ein breites jugendliches Umfeld. Musikalisch gibt es immer wieder Überraschungen. Für stadtflüchtige BerlinerInnen sind die Festivals deswegen eine spannende Dreingabe zum Landausflug. Beate Selders

Prignozert – open air: 22. und 23. Juli; Konzertbeginn: Freitag, 17 Uhr, Samstag, 14 Uhr. 20 Bands an zwei Tagen unter anderem mit Such a Surge und Dritte Wahl. Alte Ölmühle |, Bad Wilsnacker Straße, 19322 Wittenberge. Infos: www.prignozert.de oder (0 33 81) 21 15 94 Soulfightazz open air: 30. Juli ab 18 Uhr. Gruppen im Hauptprogramm: Tafelsüße, Redox, Funky Apes, Unfateful und Soulfightazz, 19348 Reetz„Rock im Moor“: 5. und 6. August: Fake, Noob, Passadena, Show off freaks, S.m.o.o.t.h., Blackflame, Unsanft, 19357 Boberow. Eintritt frei. Infos: www.soundoffake.de