Eine Dorfschule goes digital

Wie sehr alte Laptops helfen können, zeigt sich in einem 2.000-Seelen-Ort in Armenien

Von Tigran Petrosyan

„Das ganze Dorf ist im digitalen Wandel. Es ist anstrengend für uns alle – für die Lehrkräfte, für Kinder und Eltern“, sagt Tatev Arakeljan. Die 43-Jährige unterrichtet Deutsch in dem armenischen 2.000-Einwohner-Dorf Varser, rund 80 Kilometer von der Hauptstadt Jerewan entfernt. Fast drei Monate hat sie ihre Schülerinnen und Schüler nur noch online getroffen. Am 16. März hat die armenische Regierung den Ausnahmezustand wegen der Coronakrise erklärt. Seitdem haben alle Schulen auf Fernunterricht umgestellt.

„Das ganze Dorf war in diesen Lernprozess involviert. Vor allem die digitalen didaktischen Materialien und Werkzeuge wie Onlinepräsentationen brechen mit unseren traditionellen sowjetischen Lehrmethoden. Die Kreidezeit und das Hierarchiegefälle waren auf einmal vorbei“, erzählt Arakeljan. Ihre Stimme klingt am Telefon erschöpft. Immerhin kann Arakeljan, die auch stellvertretende Direktorin der Dorfschule ist, nun endlich durchatmen. Seit dem ersten Juni sind die Schülerinnen und Schüler für drei Monate in den großen Sommerferien. Was Arakeljan über die vergangenen Monate erzählt, klingt anstrengend.

„Ich habe wie in einem Callcenter gearbeitet“, sagt Arakeljan. „Fast jede Minute bekam ich Sprachnachrichten auf WhatsApp und Messenger, mein Handy klingelte minütlich und hing permanent an der Steckdose“, lacht sie. 170 Schülerinnen und Schüler hat ihre Schule. Arakeljan kontrollierte den Online-Unterricht auf Zoom und Skype und führte die Anwesenheitslisten für Lehrkräfte und für SchülerInnen.

Die große Herausforderung sei die Technik, so die Lehrerin. Nicht jeder im Dorf habe einen Computer oder ein Handy. Das ist landesweit ein Problem. Nach Angaben des armenischen Bildungsministeriums waren rund 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler am Fernunterricht beteiligt. Der Rest war aufgrund mangelnder Ausrüstung ausgeschlossen.

Die Schule in Varser ist in der Beziehung recht gut ausgestattet. Dank des Vereins Labdoo (siehe Text rechts) hat sie 14 gebrauchte Laptops erhalten. Arakeljan hat sie während der Coronakrise an die Familien ausgeliehen, die keine Geräte im Haushalt hatten. Manche Familien können sich weder Mobilgeräte noch Internet leisten. „In Varser leben einige Familien am Rande der Armut. Die LehrerInnen riefen auf dem Festnetz an und erklärten die Aufgaben. Die Eltern schrieben dann mit“, erzählt Arakeljan. Andere Familie haben mehrere Kinder, die zusammen nur ein Smartphone haben. In diesem Fall mussten sich die Kinder während des Fernunterrichts abwechseln.

Dennoch seien die Schülerinnen und Schüler auch hier vom Smartphone abhängig, berichtet Araklejan. Sie surfen stundenlang im Internet und verbringen ihre Zeit in sozialen Netzwerken, sie chatten und nutzen ihre Smartphones zum Spielen. Vor allem jetzt, im Ausnahmezustand, wo die Schule zu, das zusammen Spielen verboten und die Feldarbeiten vorbei seien, bliebe gar nichts anderes übrig, als vor dem Handy hängenzubleiben. Was Araklejan freut: Dass die Lehrerinnen und Lehrer nun die Chance haben, den Kindern zu zeigen, dass man mit digitalen Geräten auch etwas Nützliches machen kann.

Natürlich hat den Lehrkräften in ihrem Homeschooling geholfen, dass die Internetverbindung im Ort, wie im ganzen Land, sehr gut ist. „Armenien ist eines der führenden Länder, dessen Städte und Dörfer mit Internet ausgestattet sind“, sagt Samvel Martirosjan, Spezialist für Medientechnologie und Kommunikation. Armenien ist so groß wie Brandenburg und hat knapp drei Millionen Einwohner. Auf dem kleinen Gebiet konkurrieren vier große armenische Internetanbieter. Die Folge: Mobilfunknetze, die auch in den Dörfern einen schnellen Internetzugang sicherstellen.

Damit es aber nicht zu zusätzlichen Kosten kommt, hatte die Regierung mit den Internetbetreibern Verträge abgeschlossen, die für SchülerInnen und Studierende kostenloses Internet für den Fernunterricht zur Verfügung stellen.

Die technischen Voraussetzungen für den Fernunterricht sind also zum Teil schon erfüllt. Vor allem in dem Dorf Varser, wo die Schule Laptops verleihen kann. Gut möglich, dass das neue Schuljahr so startet wie es geendet hat. Die Coronafallzahlen in Armenien geben derzeit keine Entwarnung.