heute in hamburg
: „Es ging um Vernichtung durch Arbeit“

Vortrag zu europäischen Zwangsarbeiterinnen in der Kriegsindustrie in Langenhorn: 15 Uhr, St. Jürgen, Gemeindehaus, Eichenkamp 10–14, Eintritt frei

Interview Thilo Adam

taz: Das KZ Neuengamme hatte fast 90 Außenlager, darunter eines in Langenhorn. Was weiß man über die Inhaftierten dort?

René Senenko: Der Standort Langenhorn war ein Frauen-KZ. Etwa 750 Jüdinnen, Sintize und Rominja waren dort im letzten Kriegsjahr inhaftiert. Sie wurden aus der Tschechoslowakei, Ungarn, Litauen und Polen hierher verschleppt.

Warum nach Langenhorn?

Das war einer der größten Rüstungsproduktionsstandorte Hamburgs. Im Hanseatischen Kettenwerk und bei der Meßapparate GmbH wurden Tausende Arbeitskräfte gebraucht, weil die Facharbeiter alle zur Wehrmacht eingezogen waren. Die wurden dann durch Zwangsarbeiterinnen aus dem KZ, aber auch durch Männer ersetzt. Direkt neben dem Frauenlager war das Ostarbeiterlager Tannenkoppel.

Wie war der Alltag der Frauen?

Sie hausten in Baracken und mussten in zwei Schichten von jeweils zwölf Stunden Granathülsen und Zeitzünder zusammenbauen. Die Arbeiterinnen waren unterernährt, es mangelte an allem: Nahrung, Heizung, Kleidung, Schlaf. Eigentlich waren sie zur Arbeit gar nicht mehr in der Lage. Die SS verlieh sie trotzdem an die Rüstungsfabriken und ließ sich dafür bezahlen.

Die Wachleute haben die Frauen gerade so arbeitsfähig gehalten?

Nicht mal diese grausam betriebswirtschaftliche Art der Rücksicht gab es. Es ging um Vernichtung durch Arbeit. Der SS war klar, dass diese Frauen alle zur Auslöschung vorgesehen waren.

Foto: Angelika Mundt

René Senenko, 62, arbeitet für die Willi-Bredel-Gesellschaft NS-Verbrechen im Hamburger Norden auf.

Wurden Insassinnen auch ermordet?

An dem Ort, wo das Lager stand, an der heutigen Essener Straße, sind 50 Stolpersteine im Gehweg. Auf 49 davon stehen die Namen von Säuglingen, die im Lager umkamen. Man muss leider annehmen, dass es wesentlich mehr waren. Man hat den Frauen die Kinder weggenommen und die dann absichtsvoll im Krankenhaus Ochsenzoll verhungern lassen.

Wie ging es nach Kriegsende mit den Inhaftierten weiter?

Am Tag der Befreiung Hamburgs endete die Rüstungsproduktion in Langenhorn. Die Frauen waren auf einmal frei. Aber auf den Straßen herrschte Chaos. Häftlingsmärsche zogen nach Norden. Viele der Frauen kamen nach Schweden und wurden dort vom Roten Kreuz betreut. Andere mussten noch Monate in Hamburg bleiben, bis die Suchdienste ihre Rückkehr in die Heimatländer möglich machten.