schlagloch
: Wollen und können

Selbstdisziplinierung oder Verbote von oben? An diesem Spagat und vor dem Sprung in die Zukunft droht die Klimaschutzbewegung zu scheitern

Foto: Ilona Habben

Hilal Sezgin

studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt erschien: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

Die Schlagloch-Vorschau:

23. 10. Nora Bossong

30. 10. Mathias Greffrath

6. 11. Georg Diez

13. 11. Georg Seeßlen

20. 11. Ilija Trojanow

27. 11. Jagoda Marinić

4. 12. Charlotte Wiedemann

Was ist eigentlich geworden aus den Millionen, die kürzlich beim Climate Strike for Future auf die Straße gingen? Und wie nun weiter? Einige protestieren lautstark und am Rande drohender Verhaftungen mit Extinction Rebellion, andere meinen, sie hätten ein hinreichend deutliches Signal an ihre Regierungen gesandt, und warten jetzt, dass „die da oben“ etwas Sinnvolles beschließen.

Irgendwo dazwischen schwankt vermutlich die Mehrheit, hin und her gerissen zwischen dem Wissen, dass kleine Veränderungen nicht reichen, und dem Bewusstsein, dass vielen Mitmenschen schon minimale Maßnahmen als Zumutung erscheinen. Hin und her gerissen auch zwischen apokalyptischen Vorahnungen und dem Bestreben, aufrüttelnd zu klingen, aber nicht verzweifelt. Hier Hiobsbotschaft und Untergangsdrohung durch rasende Propheten, dort Kindergartenpädagogik mit viel Liebhaben und in sanften Worten.

Ich will nicht sagen, dass diese Gratwanderung unmöglich wäre, aber der Grat ist äußerst schmal. Denn unsere Lebensweise, die die Verwirklichung individueller Persönlichkeiten als höchstes Ziel und die individuelle Wunscherfüllung als deren Nonplusultra ansieht, verschlingt nun einmal große Mengen an Energie und Ressourcen. Manchmal scheint sich unser berechtigter Ruf nach Freiheit gegen uns zu wenden; oder hat sich nur unser Konzept von Freiheit verengt und verschoben? Wir leben in einer Gesellschaft permanenter Selbstoptimierung, in der Armbanduhren überwachen, ob wir „richtig“ schlafen, und in der es als Beschneidung individueller Freiheit gilt, wenn Kantinen vegetarisch kochen. In der immer mehr Menschen einer „Steinzeitdiät“ anhängen – mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie „Flugscham“ als Persönlichkeitsverletzung zurückweisen. In der Plastikstrohhalme das Böse verkörpern und jeder Konsument Zehntausende Gegenstände mehr erwirbt, besitzt und wegwirft als seine Vorfahren.

Kurz gesagt, stehen wir vor einer gewaltigen Differenz zwischen den Menschen, die wir nun mal sind, mit all unseren Gewohnheiten und Wünschen – und einer Lebensweise, mit der wir und unsere Nachkommen dauerhaft gut leben könnten, der unsere derzeitigen Gewohnheiten und Wünsche aber keineswegs entsprechen. Ganz allgemein ist diese Frage, welche Verhaltensweisen und Charakterzüge einem florierenden Gemeinwesen zuträglich sind, nicht neu; nur hat sie durch den Klimawandel eine ganz andere Dramatik erhalten.

Philosophisch gesehen, gibt es hier zwei Optionen: Der Imperativ der Veränderung lässt sich internalisieren oder externalisieren. Die erste Variante sieht vor, dass sich die Menschen selbst maßregeln und disziplinieren. Dies ist sowohl der Weg klassischer religiöser Verhaltensweisen – das Gute wird ritualisiert und das Sündhafte vermieden – als auch der Weg der aufklärerischen Vernunft: Wahre Freiheit besteht ihr zufolge nicht in der beliebigen Ausübung jedweder Handlung, sondern in der Entscheidung für die beste oder richtige Handlung.

Diese Sicht hat natürlich einiges für sich, aber der Weg der Selbsterziehung gemäß vernünftiger Parameter verlangt stete Selbstkontrolle und schlimmstenfalls tritt sich das Individuum selbst als strenger Zuchtmeister gegenüber. Nicht wenige Menschen sind es leid, dass überall vernünftige Empfehlungen lauern, auch wenn sie deren Sinnhaftigkeit durchaus einsehen; und so liest man immer häufiger die Forderung nach Verboten, zum Beispiel: „Ich schaffe es trotz Klimawandel nicht, mit dem Fleischessen aufzuhören – die Regierung soll es mir bitte endlich verbieten!“

Wenig verwunderlich, dass auch diese Variante ihre Gegner hat, die sich die Details ihres Lebenswandels nicht befehlen lassen wollen. Zudem ist „die Regierung“ ja keineswegs gewillt, entsprechende Verbote zu erlassen, sondern befindet sich fest im Griff der Auto-, der Tier- und der Rüstungsindustrie (um nur mal drei große Klimaschädlinge zu benennen). Es müsste sich also zuerst eine hinreichende Mehrheit aufbauen, die von der Regierung solche Regelungen fordern würde, und dann könnte die Regierung bestimmte Wirtschaftszweige einschränken sowie der Bevölkerung diverse Handlungen verbieten.

Manchmal scheint sich unser berechtigter Ruf nach Freiheit gegen uns zu wenden

So stark in der Gegenwart festzustecken, dass man am Sprung in die Zukunft zu scheitern droht – schon andere politische Bewegungen haben unter diesem Problem gelitten. Manche Marxis­t*innen haben bürgerliches Besitzdenken verabscheut und sind doch an der Eifersucht gescheitert; viele Feministinnen haben sich der Diagnose von der zwangsheterosexuellen Gesellschaft angeschlossen und begannen trotzdem nicht, (auch) Frauen zu lieben. Es gibt unendlich viele weitere Beispiele: Müssten wir Frauen, weil wir kulturell auf Sprachen trainiert wurden, umso energischer versuchen, Mathematik zu studieren? Warum spreche ich mit so „entwaffnend“ hoher Stimmlage, und wieso schaffe ich es nicht, bei meinem Auto den Reifendruck zu kontrollieren?

Soziale Utopien und das Tempo der Emanzipation von alten Rollenbildern allerdings kann man ändern: Wenn es heute nicht klappt, dann hoffentlich morgen. Bloß mit dem Klimawandel lässt sich nicht verhandeln. Weder Wirbelstürme noch Permafrostböden warten darauf, ob wir uns „damit okay fühlen“, wenn sie loslegen, unsere Welt zu verändern. Entweder wir passen uns an, oder es gibt halt kein Morgen. Vielleicht müssen wir uns endlich von der Illusion verabschieden, dass alles bequem wird. Wenn wir alles Notwendige tun, um den Klimawandel aufzuhalten oder abzuschwächen, wird diese Umstellung nicht dem Rhythmus unserer idealen Freizeitgestaltung oder Persönlichkeitsentwicklung folgen. Es wird hart werden, es wird holpern. Oft genug werden wir murren und uns nach früheren Zeiten zurücksehnen. Aber wir werden überleben.