Im toten Winkel der Verständigung

Die Ausstellung „The Artist Lives And Works“ im Haus der Kulturen der Welt will mit aller Macht die Erwartungen des westlichen Betrachterauges durchkreuzen – und zeigt zeitgenössische Kunst aus Indien als bloße „l’art pour l’art“

Ein Mann hat sich aufmüpfig in einer Umkleidekabine aufgestellt. Er hält ein Schild mit der Aufschrift „RSVP“ in den Händen – „Um Antwort wird gebeten“ – und bricht sich unendlich oft in den Spiegeln der Kabine. Jeder kennt diese engen Räume: Nirgends ist man so auf sich zurückgeworfen und fürchtet gleichzeitig den Blick des Voyeurs. Hier den Protesthelden zu spielen – wie absurd. Denn selbst, wenn es jemanden gäbe da draußen: Würde er antworten?

Man identifiziert sich, ist amüsiert von diesem allegorischen Selbstporträt, einer Fotoserie mit dem Titel „RSVP – The Closet March“. Dass ihr Macher Jitish Kallat in Bombay lebt und arbeitet, spielt keine Rolle. Die spontane Reaktion – ganz unabhängig davon, woher der Betrachter stammt: Das ist es, worauf die Ausstellung zeitgenössischer indischer Kunst unter dem Titel „The Artist Lives And Works“ der Galerie Mirchandani + Steinrücke aus Bombay im HKW abzielt. Sie geht dagegen an, dass Kunst aus postkolonialen Ländern im Westen immer noch oft als Spektakel der Götzen und Chimären oder als Illustration sozialen Engagements wahrgenommen wird. Indem keines der Kunstwerke breit erklärt wird – weder in der Ausstellung noch im schmalen Katalog –, stemmt sie sich gegen Kunst als Schlüssel zur fremden Gesellschaft.

Wer also diese Ausstellung betritt, um Nachrichten von anderswo aufzuschnappen, der wird enttäuscht sein. Die meisten der zehn ausgestellten Künstler sind in den Siebzigerjahren geboren und an den internationalen Diskurs angeschlossen. So auch Shila Gupta aus Bombay. Ihre interaktive Videoarbeit zeigt acht Projektionen ihrer selbst, in jeder trägt sie Camouflage, verkörpert aber widersprüchliche Frauentypen: die verhüllte Geheimnisvolle, die sportliche Schwester, die sexy Geliebte. Klickt man eine von ihnen an, rollen Worte wie „war no war terror terror“ oder „bend right no left“ am unteren Bildrand vorbei. Die Angeklickte beginnt zu marschieren oder sich zu dehnen. Alles das spricht westliche Betrachter an.

Was vom Individuum hinter der Maske und jenseits sozialer Restriktionen übrig bleibt: Das treibt um, egal, wo man lebt. Und trotzdem. So verschmerzbar der Verzicht auf Kontext bei vielen der jüngeren ausgestellten Künstlern ist: Bei anderen, besonders bei den in den Fünfzigerjahren geborenen, tappt man im Dunkeln. Natarj Sharmas Installation „The Wall“ zum Beispiel bezeigt rechtsextreme hinduistische Paramilitärs – eine Auseinandersetzung mit einem Pogrom, bei dem 2002 tausende Muslime ermordet wurden. Bei Kunstwerken wie diesen ist man aufgeschmissen, wenn man sie nicht verorten kann – wenn man etwa nicht weiß, dass es in Indien auch deshalb so wenige private Kunstsammler und noch weniger staatliche Unterstützung gibt, weil seit der Liberalisierung des Landes vor 15 Jahren vor allem kritische Kunst entsteht.

Und so beweist die Ausstellung „The Artist Lives And Works“: Es ist nicht erhellend, sich als Künstler oder als Kunstverwalter auf die Rezeption zu versteifen. Will eine Arbeit sozial engagiert sein, so macht es kaum Sinn, dies zu unterschlagen, nur weil der westliche Betrachter genau das von ihr verlangen könnte. Selbst indem man intuitiv auf die Ironie anspringt, mit der jüngere Künstler aus Indien heute operieren, entgeht einem das Spezifische: Dass sie Indiens rasante Öffnung für den globalen Markt kritisieren.

Allein im letzten Jahr hat es mit Ausstellungen in Wien und Genf zwei große Schauen zeitgenössischer indischer Kunst in Europa gegeben. Vielleicht könnte man dies zum Anlass nehmen, die Länderschau als erschöpft zu erklären – ein Konzept, das nur Besucher anzieht, die sich vor allem über die jeweiligen Länder informieren wollen. Sehr gut deswegen, dass die als Länderschau enttäuschende „The Artist Lives And Works“ an diesem Wochenende im HKW vom Projekt „Import Export“ begleitet wird, das in Filmen, Fotos und Diskussionen den Kulturaustausch zwischen Indien, Deutschland und Österreich erforscht hat. Eins ist sicher: Bei diesem Projekt, das die Künstler von Vornherein zum Spiel mit dem Blick des Anderen einlädt, werden tote Winkel der Verständigung, wie sie „The Artist Lives And Works“ absichtlich herstellt, kaum entstehen. SUSANNE MESSMER

Bis 28. August, Haus der Kulturen der Welt, Di.–So. 10–21 Uhr. Katalog 5 €