Gas-Fieber am Bodensee

Goldgräberstimmung in Deutschland. Die Claims sind bereits abgesteckt, auch in Baden-Württemberg. Das Gold der Energiewende heißt Erdgas, gewonnen wird es mit einer höchst umstrittenen Methode: dem Fracking. Eine neue Studie des Umweltbundesamts empfiehlt nun ein Fracking-Verbot in Trinkwasserschutzgebieten

von Susanne Stiefel

Die Bohrtürme in Niedersachsen stehen längst. Von Zäunen geschützt bohrt ExoonMobil dort seit Jahren nach Erdgas, in Söhlingen gab es bereits 2003 die ersten Fracks. Erst als es dort 2007 zu Verunreinigungen von Böden und Grundwaser mit Quecksilber und gesundheitsschädlichen aromatischen Verbindungen kam, formierte sich in Niedersachsen der Widerstand. Vor allem, weil die Betreiber erst den Schaden analysierten, bevor sie die Anlieger informierten. Die waren aufgeschreckt und machten sich selber kundig. Sie sahen Bilder von brennendem Wasser aus dem Hahn und von zerstörten Landschaften in den USA. Sie fühlten sich bestärkt in ihrem Verdacht, dass die unkonventionelle Gasförderung gefährlicher ist, als die Energiekonzerne sie glauben lassen wollen. Immer mehr Bürger fordern deshalb: Hände weg vom Fracking. Auch in Baden-Württemberg.

Hydraulic fracturing, kurz Fracking, heißt übersetzt „Zerbrechen mit Wasserdruck“. Diese Technik wird angewendet, wenn das Gasvorkommen in dichtem Gestein, wie etwa dem Schiefergestein am Bodensee, gelagert ist. Erst durch Risse im Schiefer kann das Gas daraus gelöst und gefördert werden. Zunächst wird also senkrecht in die Tiefe gebohrt, bis die gasführende Schicht erreicht ist. Dann knickt die Bohrung horizontal ab. Die Vorbereitungen dauern zwei bis vier Monate. Dann beginnt das eigentliche Fracking: Mit hohem Druck wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Untergrund gejagt, das Schiefer gebrochen, Gas strömt nach oben.

Kommunen und Anlieger werden nicht gefragt

Welcher Chemikalienmix dort verwendet wird, wissen nur die Firmen. Eine Prüfung der Umweltverträglichkeit ist nicht vorgesehen. Kommunen und Anlieger werden nicht gefragt. So will es ein antiquiertes Bergbaurecht. So kann es nicht weitergehen, sagen betroffene Bürger. Seit einem Jahr warten sie gespannt auf zwei Gutachten, die das Gefahrenpotenzial von Fracking klären sollen. Seit wenigen Tagen sind sie auf dem Tisch. Die Studie des Umweltbundesamts empfiehlt, Fracking nur unter strengen Auflagen zuzulassen.

Das Gutachten des Landes Nordrhein-Westfalen liegt nun seit vergangener Woche auf dem Tisch des Umweltministers Der Tenor: Die Technologie ist nicht beherrschbar. Die Forscher des Instituts „IWW Zentrum Wasser“ bestätigen den Verdacht, dass von dem Einsatz von Chemikalien ein „mittleres bis hohes Gefährdungspotenzial“ ausgehe. Die rot-grüne Landesregierung wird sich nun ebenso wie Bundesumweltminister Peter Altmaier mit den Schlussfolgerungen aus dem Gutachten befassen. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Erdgas-Industrie keine Genehmigung für Probebohrungen in NRW erhalten wird.

Keine Probebohrungen: Dafür wird auch im baden-württembergischen Pfullendorf gekämpft. Bis zu der sommerlichen Gemeinderatssitzung im Juli dieses Jahres wussten viele Pfullendorfer nicht, was das überhaupt ist: Fracking. Und ebenso wenig, dass auf ihrem Gebiet in Oberschwaben bereits ein Claim abgesteckt ist, eine sogenannte Aufsuchungslizenz. Doch nach dieser Gemeinderatssitzung hat die Unwissenheit ein Ende. Bürgermeister Thomas Kugler hat sich kundig gemacht und liefert den Räten und dem interessierten Publikum eine kleine Einführung. Mit Handschlag hat er alle Gemeinderäte und interessierten Bürger begrüßt, so hält man das hier in Oberschwaben. Dann wirft er mittels Powerpoint Grafiken und Bilder von Bohrtürmen an die Wand im Pfullendorfer Bürgersaal.

Die Empörung ist einhellig und reicht quer durch alle Fraktionen. „Ein klares Nein zu Fracking“, ruft der CDU-Gemeinderat. „Wenn die erst mal bohren, dann ist es zu spät“, sagt die Frau von der Freien Liste. Nach knappen 30 Minuten ist man sich im Bürgersaal einig. Eine Resolution verwahrt sich gegen Fracking auf Pfullendorfer Gemarkung und appelliert an die grün-rote Landesregierung, für eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu sorgen und die Kommunen in solch grundsätzliche Entscheidungen mit einzubeziehen. Gemeinderat Heinz Brandt lächelt zufrieden. Der BUND-Aktivist hat die Anti-Fracking-Resolution vorangetrieben.

Am selben Abend steigt Heinz Brandt die wenigen Stufen vom Bürgersaal hinunter in die Rossmarktgasse. Dort hat der örtliche BUND in einem der kleinen Fachwerkhäuser seine Bleibe. Draußen informieren Plakate über den Baum (Lärche) und den Vogel (Dohle) des Jahres, drinnen sitzen zwischen Apfelsaftkisten und Vogelkästen Fracking-Gegner am großen Holztisch. Sigmaringer Grünen-Stadträte sind ebenso angereist zum zweiten großen Fracking-Treffen in der Bodensee-Region wie BUND-Mitarbeiter, Geologen und kritische Bürger, die sich das Trinkwasser und ihre Umwelt nicht kaputt machen lassen wollen. Die Resolution des Pfullendorfer Gemeinderats am selben Abend wird begrüßt. Ein kleiner Schritt, ein erster Erfolg. „Aber da müssen sich noch mehr Gemeinden anschließen“, sagt Heinz Brandt. Hier interessiert man sich für mehr als für Biene & Co.

Hier weiß man auch, dass Fracking in Zeiten der Energiewende wirtschaftlich interessant wird. Die USA haben diese Methode in den letzten Jahren intensiv vorangetrieben und sich so 2009 erstmals unabhängig von russischen Erdgaslieferungen gemacht. Inzwischen werden 50 Prozent des Erdgases in den USA unkonventionell gefördert – mit gravierenden umweltschädlichen Folgen. Auch Europa wurde von den gashungrigen Energiekonzernen schon gescannt. Erdgasführende Gesteinsschichten werden vor allem in Polen und in Frankreich, aber auch in Deutschland und in Großbritannien vermutet. Am Bodensee wird noch nicht gefrackt, anders als in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein.

Parallelen zwischen Fracking und Atomkraft

Das Wissen über Fracking und dessen Folgen ist bei den betroffenen Bürgern gewachsen. Sie wollen sich nicht länger wie in Niedersachsen mit bunten Werbeprospekten der Firmen abspeisen lassen und machen sich bei Kommunen sowie Landes- und Bundesregierung bemerkbar. Sie sind bundesweit vernetzt und sie haben ein Ziel. „Wir wollen nicht, dass eine gefährliche Technologie wie die Atomkraft durch eine andere unbeherrschbare Technologie wie das Fracking ersetzt wird“, sagt Anne Waibel vom BUND-Pfullendorf. Die Informatikerin aus Oberschwaben hat lange gegen Atomkraft gekämpft, und sie sieht manche Parallele zum Fracking. Etwa, dass der Gewinn in die Firmenkassen fließt, die sichere Entsorgung des Mülls – im Fall von Fracking die Entsorgung des giftigen Lagerstättenwassers – jedoch ebenso unklar bleibt wie die Haftung bei einer möglichen Verunreinigung des Grund- und Trinkwassers.

Die Bilder aus den USA sind verstörend. Bilder von unzähligen Bohrtürmen und zerstörten Landschaften, weil die Technologie statt eines großen viele kleine Bohrtürme erfordert. Bilder von Wiesen, die von Lagerstättenwasser verseucht sind und von Wasser, das brennend aus dem Hahn fließt. Über die Umwelt- und Gesundheitsrisiken liegen bisher noch keine validen Studien vor, auch, weil die Firmen aus der Zusammensetzung des Fracking-Mixes ein Betriebsgeheimnis machen. Tatsache ist, dass der hochgiftig ist. Das Umweltbundesamt schreibt in einer Stellungnahme, dass dabei insgesamt 600 Chemikalien zum Einsatz kommen. Es beruft sich auf die US-Umweltbehörde EPA, die für eine Bohrung den Wasserbedarf mit 11.500 Kubikmetern angibt und den Bedarf an Chemikalien mit 55 bis 230 Tonnen. Darunter sind unter anderem Biozide, die Bakterienwachstum in den Rohren verhindern sollen, Säuren zur Reinigung und Gele zur Erhöhung der Viskosität.

Das britische Tyndall Centre for Climate Research hat 260 Chemikalien auf ihre Umweltwirkung hin überprüft. Das Ergebnis: 38 Substanzen sind akut toxisch für die menschliche Gesundheit, sechs Substanzen stehen im Verdacht, krebserregend zu sein, sieben können das Erbgut verändern. Und 17 der Giftstoffe beeinträchtigen „nur“ das Leben im Wasser. Was ein Leck für ein Gebiet wie den Bodensee bedeuten würde, ist ein Horrorszenario, das sich die BUND-Aktivisten in Oberschwaben gar nicht ausmalen wollen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Entsorgung des Lagerstättenwassers, das außer dem Fracking-Giftcocktail auch aus dem Boden gelöste Stoffe wie radioaktive Verbindungen oder Metalle enthält. In den USA wird das Wasser schlicht im Rohr der erschöpften Bohrlöcher versenkt.

Die Sorge ums Trinkwasser in der Bodenseeregion ist berechtigt. Diese Sorge hat auch der grüne Landtagsabgeordnete Siegfried Lehmann aus Konstanz. Seit mehr als einem Jahr kritisiert er die intransparente Vergabepolitik des Bergbauamts in Freiburg. Lehmann fordert ein Verbot des Fracking, solange die Auswirkungen auf die Umwelt nicht ausreichend erforscht sind, eine Umweltverträglichkeitsprüfung bei jeder Bohrung und eine Informationspolitik, die die betroffenen Kommunen mit einbezieht. Kurz: eine Änderung des Bergbaurechts. Denn dieses betrachtet die Gasvorkommen als sogenannte bergfreie Rohstoffe, die erst ab einer Fördermenge von 500.000 m[3]auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden. Beim Fracking bleibt die Menge jedoch immer darunter. Und die betroffenen Kommunen werden nicht gefragt. „Öffentlichkeitsbeteiligung darf nicht erst stattfinden, wenn bereits erste Bohrungen vorgesehen sind“, so Lehmann.

Die baden-württembergische Landesregierung wird sich für ein bundesweites Moratorium einsetzen, das beschloss der Landtag auch mit den Stimmen von CDU und FDP im Juni dieses Jahres. Im Bundestag hingegen wurde ein gleiches Ansinnen im Mai abgelehnt – mit der Stimmenmehrheit von CDU und FDP. Darüber hat sich der Landtagsabgeordnete Lehmann geärgert. Vor allem, was seine Konstanzer Wahlkreiskollegin Birgit Homburger betrifft. Die FDP-Landesvorsitzende hatte im Bundestag gegen ein Moratorium gestimmt, sich aber in ihrem Wahlkreis gegen Fracking im Trinkwasserschutzgebiet ausgesprochen. Man nennt das wohl Opportunismus.

Aus den Erfahrungen der USA lernen

Auch ein Blick nach Brüssel zeigt, dass man sich in Europa die Option Fracking offenhalten will. Energiekommissar Günther Oettinger stellte im Januar dieses Jahres eine Studie zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Schiefergasförderung in Europa aus Sicht der Energiekommission vor. Fazit: Völlig ausreichend beim derzeitigen Stand der Erforschung. Das war manchen Europa-Parlamentariern zu vage. „Wir fordern Sie auf, aus den Erfahrungen der USA zu lernen und die Europäische Gesetzgebung in diesem Bereich zu verbessern, und zwar bevor mit einer kommerziellen Erschließung von Schiefergas in Europa begonnen wird“, schrieben neun europäische Abgeordnete, darunter Rebecca Harms und Reinhard Bütikofer aus Deutschland, an den früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Außerdem wiederholten sie ihre Aufforderung, ein offenes Diskussionsforum unter Beteiligung der Bürgerinitiativen in Europa einzurichten. Die Bitte blieb bisher unbeantwortet.

Die Sorge ums Bodensee-Trinkwasser betrifft auch die Anrainerstaaten Österreich und Schweiz. In dieser Region haben sich zwei Firmen drei große Claims beim Bergbauamt in Freiburg sichern lassen. Das Gebiet umfasst rund 4.000 Quadratkilometer Fläche um Konstanz, Biberach und Bad Saulgau. Die Erkundungsfelder gingen an die Parkyn Energy Germany Ltd., ein Tochterunternehmen der 3Legs Resources mit Sitz auf der Isle of Man, und die britische Bell Exploration Ltd.

Inzwischen wird fieberhaft am „Clean-Fracking“ geforscht, bei dem auf Chemie im Wasser verzichtet werden kann. Denn die Technologie will sich keiner wegnehmen lassen in Zeiten der Energiewende und knappen Ressourcen. Im Weinviertel in Österreich wird die Methode inzwischen angewendet, man darf gespannt sein auf die neuen Jahrgänge Veltliner und auf den Zustand der Häuser. Denn gerade in Baden-Württemberg kennt man eine zweite Auswirkung der Bohrungen bis in 5.000 Meter Tiefe: Im Schwarzwaldort Staufen hat sich die Erde gesenkt, Risse verbreiten sich in Häusern und Straßen. Diese Gefahr besteht auch beim Fracking ohne chemische Zusätze.

Die Fracking-Aktivisten vom BUND geben nicht auf. Heinz Brandt, Anne Waibel und ihre Mitstreiter suchen Verbündete von Kreistagen bis zu Kommunen. Sie haben die Wasserbehörden ins Boot geholt. Sie tun das, was weder Politik noch die bohrenden Firmen ausreichend tun: Sie informieren die Öffentlichkeit auf Veranstaltungen und mit Flyern und Plakaten. Die nächste Fracking-Veranstaltung organisieren sie bei den Naturschutztagen in Radolfzell. Und sie haben eine berechtigte Sorge: Dass zwar der See geschützt wird, die Energiekonzerne jedoch ins Hinterland drängen, wo sich mancher Bauer mit dem Bohrturm auf der Wiese eine willkommene Finanzspritze erhofft. „Wir lassen uns nicht einlullen“, sagt Anne Waibel.

Links zur Information:

www.gegen-gasbohren.de

www.bund-pfullendorf.de

Nächste Woche Folge zwei: Das Bergbauamt und die undurchsichtige Lizenzvergabe.