Der Ton wird schärfer

Außenminister Gül bezeichnet die Forderung nach privilegierter Partnerschaft als „unmoralisch“

ISTANBUL taz ■ Noch am Samstag gab man sich in Ankara gelassen. „Wir vertrauen auf die Weitsicht und die Klugheit der EU-Regierungen“, sagte Außenminister Abdullah Gül. Am Dienstag verschärfte er dann jedoch seinen Ton: Das Konzept einer privilegierten Partnerschaft seines Landes mit der EU sei „illegitim und unmoralisch“. Eine solche Variante, wie sie die Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel, vorschlägt, lasse die gemeinsamen Bemühungen eines halben Jahrhunderts hinfällig werden, sagte der Außenminister der Zeitung Turkish Daily News. Er bedauere zu beobachten, dass die Frage des EU-Beitritts der Türkei „von bestimmten Kreisen für kurzfristige innenpolitische Ziele missbraucht“ werde.

Damit spielte Gül nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf jüngste Äußerungen aus Frankreich an. Nach dem französischen Nein zur EU-Verfassung sind immer mehr Politiker dort gegen einen Beitritt der Türkei. Zudem hatte Präsident Chirac die türkische Nichtanerkennung Zyperns scharf kritisiert.

Daher ist die türkische Regierung inzwischen höchst alarmiert. Für Premier Erdogan wäre eine eventuelle Vertagung des Verhandlungsbeginns ein harter Schlag. Seine gesamte Außen - und Wirtschaftspolitik basiert auf einer intensivierten Annäherung an die EU, was Erdogan von vielen Seiten schon lange zum Vorwurf gemacht wird.

Die deutliche Skepsis, die den türkischen Annäherungsbemühungen aus vielen europäischen Hauptstädten zurzeit entgegenschlägt, hat dazu geführt, dass die nationalistische Rechte wieder im Aufwind ist. Neue Bedingungen aus Brüssel würden diesen Trend verstärken. Deshalb gibt es im Land inzwischen auch Stimmen, die fordern, dass die Regierung Erdogan zumindest über einen „Plan B“, eine Alternative zur Mitgliedschaft in der Union, diskutieren soll. Eine förmliche Anerkennung der griechisch-zypriotischen Regierung würde Erdogan momentan politisch kaum überleben. Deshalb vertraut man in Ankara doch eher auf ein Nachgeben der EU-Staaten. Letztendlich, so Gül, werde die EU nicht gegen ihre eigenen Interessen handeln. Damit beruft er sich direkt auf Bundesaußenminister Fischer, der in einem Interview sagte, dass die EU die Türkei zur Bekämpfung des Terrorismus brauche.

JÜRGEN GOTTSCHLICH