Eine einzige große Pfütze

POLEN Mit einem Tag Verspätung trotzen die Gastgeber den Engländern einen Punkt ab. Im Land überwiegt aber die Scham darüber, dass die Partie wegen des bei Regen nicht verschließbaren Dachs verschoben werden musste

Der Schmerz über die Blamage im neuen Nationalstadion sitzt tief

WARSCHAU taz | „Nationale Schande“ und „Nationaler Skandal“ schäumten Polens Zeitungen nach dem Wolkenbruch am Dienstag, der die Fußballer Polens und Englands zur Kapitulation zwang. Trotz ausfahrbarem Dach und moderner Drainageanlage im Warschauer Nationalstadion musste das WM-Qualifikationsspiel um einen Tag verschoben werden. Der Rasen war eine einzige große Pfütze. An Fußballspielen war nicht zu denken. Die aus England angereisten Fans nahmen die polnische Wasserpleite dennoch mit Humor. Am Mittwoch zogen sie grinsend mit Taucherbrille und Schnorchel in Polens teuerstes Fußballstadion. Das Spiel endete nach Toren von Wayene Rooney (31.) und Polens Abwehrspieler Kamil Glik (70.) 1:1.

Besänftigt hat das Ergebnis aber kaum jemanden in Polen. Der Schmerz über die Blamage im neuen Nationalstadion sitzt außerordentlich tief. „Dieses Stadion sollte der Stolz Polens sein“, klagt die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza und zählt die Pannenserie im Warschauer Nationalstadion auf. Im Juni dieses Jahres war hier die Fußball-EM eröffnet worden. Doch schon der Bau des Stadions hatte sich immer wieder verzögert. Am Ende musste sogar das eigentlich als Eröffnungsmatch geplante Freundschaftsspiel zwischen Polen und Deutschland nach Danzig verlegt werden. Das EM-Spiel Polen – Griechenland fand dann unter geschlossenem Dach statt, doch die Fußballer klagten danach über Atemnot und Kreislaufprobleme, die Fans über unmäßige Schwüle. Damals wie heute fordern Parteien der rechtsnationalen Opposition den Kopf der Sportministerin Joanna Mucha. Sie sei verantwortlich für das andauernde Dach-Desaster.

In Warschau hatten diesmal die Mannschaften Polens und Englands entschieden. Auf Nachfragen des Fifa-Managers Daniel Jost aus Slowenien, ob bei Regen das Dach geschlossen werden oder offen bleiben sollte, hatten sie ganz klar gesagt: „Wir wollen unter freiem Himmel spielen.“ Doch der Nieselregen verwandelte sich kurz vor Spielbeginn in einen Wolkenbruch. „Da war es zu spät zum Schließen des Daches“, erklärt Agnieszka Olejkowska, die Sprecherin des Polnischen Fußballverbandes PZPN. „Das Dach kann bei starkem Wind und Regen nicht ausgefahren werden. Und das Drainagesystem, das dafür sorgt, dass auch ein sehr nasser Rasen nach einer halben Stunde bespielbar ist, funktioniert nur bei geschlossenem Dach beziehungsweise wenn der Regen aufgehört hat.“

Auf den Tribünen saßen 50.000 Fußballfans, warteten auf den Anpfiff und konnten nicht fassen, dass das Dach die ganze Zeit offen stand und die einströmenden Wassermassen das Stadion in ein Schwimmbad verwandelten. Zwar lief die polnische Mannschaft zum Aufwärmen aufs Spielfeld, doch Schiedsrichter Gianluca Rocchi aus Italien warf nur ein paar Bälle und beorderte dann alle Spieler zurück in die Umkleidekabinen. Erst kurz vor 22 Uhr wurde das Match endgültig abgesagt. „Banditen!“, schrien enttäuschte Fans, „Versager!“ und „Betrüger“. Andere rannten auf das Spielfeld, hüpften im hoch aufspritzenden Wasser oder legten bäuchlings meterlange Rutschpartien und fast schon akrobatisch zu nennende Stürze hin. Das hellte zwar die Stimmung im Stadion wieder etwas auf, doch die Enttäuschung über unfähige Funktionäre, die es sogar schaffen, ein WM-Qualifikationsspiel in einem Stadion der Superlative kurzfristig abzusagen, hat schon wieder fast etwas tragisch-komisches. Willkommen in Polen!

GABRIELE LESSER