Grummeln in der EU-Kommission

Die überraschende Ernennung des Deutschen Martin Selmayr zum Generalsekretär stößt auf Kritik

Die überstürzte Berufung des Deutschen Martin Selmayr zum höchsten EU-Kommissionsbeamten bringt die Brüsseler Behörde in Erklärungsnot. Ein Sprecher bestätigte am Montag, dass sich Selmayr zunächst für den Posten des stellvertretenden Generalsekretärs beworben hatte – und dann vergangenen Mittwoch überraschend zum Generalsekretär befördert wurde.

Der Sprecher erklärte die Blitzbeförderung damit, dass Vorgänger Alexander Italianer am Mittwoch seinen Rücktritt erklärt habe. In einem so wichtigen Amt sei aber Kontinuität gefordert. Diese Erklärung scheint jedoch wenig überzeugend: Schließlich wusste EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach eigenen Angaben schon seit Jahren, dass Italianer Anfang 2018 gehen wollte, hielt dies aber geheim.

Warum Junckers Kabinettschef Selmayr sich zunächst auf den Ende Januar ausgeschriebenen Vizeposten bewarb, blieb offen. Nach Angaben des Sprechers setzte sich der Jurist in einem regulären Verfahren – in einem Assessment Center, das auf Personaleinstellungen spezialisiert ist, und mit einem Vorstellungsgespräch – gegen einen weiteren Bewerber durch. Damit stand Selmayr bereit, als, auch für die meisten Kommissare unerwartet, der Topjob am Mittwoch zu vergeben war.

Alle Regeln seien eingehalten worden, betonte der Sprecher.

Das Verfahren trifft auch im Europaparlament auf Kritik. Die Grünen wollen die „Nacht-und-Nebel-Aktion“ vor den Haushaltskontrollausschuss bringen, wie der Abgeordnete Sven Giegold ankündigte. „Die Vergabe von Top-Positionen in öffentlichen Institutionen ohne offene Ausschreibung ist eine Unsitte“, kommentierte Giegold. Dies begünstige „Bekannte gegenüber den Besten“.

Der 47 Jahre alte Selmayr ist als Generalsekretär für die strategische Ausrichtung der Kommission mit rund 32.000 Mitarbeitern verantwortlich. Als Junckers Kabinettschef erwarb sich der Jurist den Ruf als einflussreicher und gefürchteter Strippenzieher. Innerhalb Europas hat er zugleich zahlreiche Kritiker, ist weder in Frankreich noch in Großbritannien beliebt, wo man ihm vorwirft, Details aus vertraulichen Brexit-Gesprächen an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Bevor Selmayr 2004 in die EU-Kommission aufstieg, war er Lobbyist für den Medienkonzern Bertelsmann in Brüssel. 2010 wurde er Kabinettschef von Justizkommissarin Viviane Reding. (dpa/taz)