Totengräber der Pressevielfalt

Die „Frankfurter Rundschau“ ist über den Jordan gegangen, die „Financial Times Deutschland“ ist abgesoffen, weil sie gar nie das Schwimmen gelernt hat. Deshalb den Beginn des großen Zeitungssterbens im Land an die Wand zu malen, dafür taugen diese Beispiele nicht. Beide Blätter waren schon lang nicht mehr respektive nie lebensfähig. Ein besseres Exempel, um die Probleme der Branche zu erklären, gibt die Zeitungsgruppe Stuttgart ab. Aber auch die Schwierigkeiten, in denen Deutschlands drittgrößter Zeitungskonzern steckt, sind zum großen Teil hausgemacht

von Georg Habermann

Richard Rebmann, 54, ist promovierter Jurist, und was er auch immer investiert hat, um diesen Titel zu erwerben, es hat ihn trotzdem nie mit der Welt der Zahlen vermählt. Die sind ihm bis heute fremd. Befragt, wie hoch die Auflage der Stuttgarter Zeitung denn inzwischen noch sei, gibt der Geschäftsführer des immer noch sich selber als „Leitmedium“ begreifenden und im Titelkopf tagtäglich als die „Unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg“ benannten Blattes spontane Auskunft: „109.000“. Ihm gegenüber sitzt eine gute Hundertschaft von Zeitungsredakteuren, die sich zumindest einbilden, sich sonst keine unangenehme Frage zu verkneifen. Und was passiert an diesem so genannten Redaktionstag am 2. Oktober, der ja eigentlich dafür da ist, dass man sich mal in Ruhe die Meinung sagen kann, weil der 3. ein Feiertag ist und keine Zeitung erscheint? Nichts. Keiner macht das Maul auf. Erst als Rebmann gegangen ist, korrigiert ihn Joachim Dorfs, der Chefredakteur: „Natürlich liegt unsere Auflage bei 139.000.“

Je nun. Um 30.000 Leser kann man sich schon mal vertun, solange nicht mal Journalisten nachfragen. 30.000 Abonnenten, beinahe jedenfalls, haben die beiden hiesigen Blätter Stuttgarter Zeitung (StZ) und Stuttgarter Nachrichten (StN) nämlich tatsächlich verloren, seit Richard Rebmann sie führt. Und um 30 Millionen Euro, so in etwa, ist in der gleichen Zeit der Anzeigenumsatz zurückgegangen. Im Gegenzug wurde der Preis des Zeitungs-Abos um ein Viertel erhöht und dafür steht demnächst, wenn es so weiter geht, ein Drittel weniger drin. Schon wieder mal wurden Mitte November die Umfänge gekürzt, um Kosten zu sparen, und allein der „Relaunch“ im Jahr 2009, der das äußere Erscheinungsbild der „Zeitung“ vor allem jüngeren Lesern schmackhaft machen sollte, hat 15 Prozent Text gekostet – zugunsten optischen Schnickschnacks und leerer Flächen.

Rebmann wollte mehr und tat das Falsche

Darf es da wundern, dass es dem Unternehmen nicht gerade gut geht? Ja, es darf! Denn als Richard Rebmann im Januar 2008, also vor nicht einmal fünf Jahren, seinen Job antrat, da wurde er in ein gemachtes Nest gesetzt. 27 Prozent Umsatzrendite hat die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), zu der neben StZ und StN das Stuttgarter Wochenblatt sowie eine Vielzahl von Beteiligungen an anderen Zeitungsverlagen gehörten, im Jahr 2007 noch abgeworfen. Davon können andere Branchen nicht einmal träumen. Rebmann, der kleine Mann aus Oberndorf am Neckar, träumte allerdings von mehr, von noch viel mehr. Das wurde zum Albtraum.

Seinerseits Geschäftsführer und Herausgeber des Schwarzwälder Boten mit eigenen Anteilen aus Familienbesitz, hatte sich Rebmann bis 2007 innerhalb der Gesellschafterstruktur der SWMH zum Sprecher der einen Eigentümerseite, der Gruppe Württembergischer Zeitungsverleger, hochgearbeitet, die im Wechsel mit der anderen, der Ludwigshafener Verlegerfamilie Schaub (Rheinpfalz und andere Blätter), den Vorsitzenden des damaligen Verwaltungsrats stellte. Das Aufsichtsgremium fasste in 2007, beflügelt von zu erwartenden Rekordergebnissen in für andere Verlage auch schon nicht einfachen Zeiten, drei folgenschwere Beschlüsse: Erstens den Kauf von 62,5 Prozent Anteilen am Verlag der Süddeutschen Zeitung in München zu den bereits vorhanden 19 Prozent hinzu; zweitens die Fusion der SWMH mit dem Schwarzwälder Boten, bei der 18 Prozent der SWMH-Anteile an Richard Rebmann und die übrigen Schwabo-Miteigentümer gingen; und schließlich drittens Rebmann im Gegenzug dafür, dass er diese Fusion ermöglicht hatte, zum Geschäftsführer des nun entstandenen Großkonzerns zu berufen. Alle drei Entscheidungen waren Fehler. Die dritte der schlimmste.

Zum einen stand das bis dahin praktisch schuldenfreie Unternehmen, als 2008 nicht völlig unerwartet das Anzeigengeschäft der ganzen Tageszeitungsbranche einzubrechen begann, mit fast einer Dreiviertelmilliarde Euro in der Kreide. Weil aber nicht nur die Anzeigen von Aldi und Lidl nach und nach aus den Tageszeitungen verschwanden, sondern vor allem große Teile des so genannten Stellenmarktes ebenso wie Immobilien und Wohnungsangebote ins viel preiswertere Internet übersiedelten und dieser Prozess nicht rückgängig zu machen ist, ging damit auch ein erheblicher Wertverlust dessen einher, was eben teuer eingekauft wurde. Die Schulden aber blieben. Wollte man heute die Süddeutsche wieder loswerden, gäb's vielleicht grade noch die Hälfte des Kaufpreises dafür.

Zum zweiten ist der von Rebmann bis 2007 geführte Schwarzwälder Bote, der – wenn überhaupt – nur marginale Gewinne abwirft, bis heute nicht mehr als ein Klotz am Bein. An den allerdings im Zuge der Fusion vertraglich festgeschriebene alljährliche Gewinnausschüttungen auch dann abgeführt werden müssen, wenn es gar keine Gewinne mehr gibt. So weist die im Bundesanzeiger veröffentlichte Konzernbilanz für das Jahr 2010 zwar eine schwarze Null aus, aber nur unter Auflösung eines zweistelligen Millionenbetrags an Rücklagen. Und während Rebmann und die Seinen mit ihrem Weihnachtsgeld planen können, müssen die Alt-Gesellschafter inzwischen Geld bringen.

Ein Anschlag auf das Ansehen des Unternehmens

Zum dritten hat Richard Rebmann seinen kompletten Manager-Baukasten an Ideen, Methoden und Umgangsformen, die schon den Schwarzwälder Boten nicht eben zu einem Erfolgsmodell gemacht hatten, längst nach Stuttgart und zur Süddeutschen in München transferiert. In nicht einmal fünf Jahren hat die von ihm betriebene „Blackforestisierung“ der beiden größten Zeitungshäuser Süddeutschlands nicht nur wirtschaftlich zu verheerenden Ergebnissen geführt. Denn nicht nur Anzeigenumsätze und Auflage befinden sich im freien Fall, auch das Ansehen des Unternehmens hat extrem gelitten. Für Seriosität und Glaubwürdigkeit, den wichtigsten Imagefaktoren von Tageszeitungen, hat Richard Rebmann nämlich nicht gerade viel Fingerspitzengefühl.

„Rebmann“, sagt ein Ehemaliger aus dem Möhringer Pressehaus, „ist die Schnittmenge aus Nichtwissen und Nichtkönnen.“ Ehemalige gibt es reichlich. 30 leitende Angestellte aus der Zeit vor Rebmann wurden in gut drei Jahren entweder von diesem – teils in Schlagzeilen verursachenden Aktionen – vom Hof gejagt oder nahmen selber ihren Hut. Das komplette Führungs-Know-how des Unternehmens wurde ersetzt durch zumeist mittelmäßige Karrieristen von außerhalb, denn was Rebmann für einer ist, sprach sich schnell rum in der Branche – gute Leute machen seither einen großen Bogen um Stuttgart. In Möhringen sitzt inzwischen kein einziger „Leitender“ mehr an einem Schalthebel, der das Unternehmen länger als ein paar wenige Jahre kennt und der vor allem Stuttgart und seine Region und den Markt und die Leserschaft kennen würde. In Möhringen schwätzt nur noch einer Schwäbisch: Rebmann selber.

Doch nicht nur die Personalpolitik führte zu Qualitätsverlusten, die längst auch in den Produkten zu erkennen sind, nicht nur bei den Druckfehlern. Auch sonst durfte im Unternehmen nichts bleiben, wie es unter Rebmanns Vorgänger Jürgen Dannenmann war, der die SWMH 17 Jahre lang äußerst erfolgreich geführt und ihm dieses gemachte Nest hinterlassen hatte. Kaum eine Mauer steht in Möhringen noch, die Rebmann seit Januar 2008 nicht wenigstens einmal hat einreißen lassen. Das war meistenteils Umbau um des Umbauens willen, allerdings oft genug mit negativen Folgen: „Wenn es zwei Möglichkeiten gab“, sagt ein anderer Ehemaliger, „hat er sich zielsicher für die Falsche entschieden.“ Beste Beispiele: Die Auflösungen der Redaktionen von Sonntag Aktuell und der HIER GmbH, in der die lokalen Beilagen für bestimmte Verbreitungsgebiete produziert wurden.

Die Wirkung des Streits um S 21 wurde unterschätzt

Jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch hätte an diesen Punkten, an denen sich angeblich Synergien heben ließen, entschieden, dass die Produktion der Sonntags-Ausgabe der fast doppelt so großen Redaktion der StZ zukommt, während die kleinere, sich aber auf einem deutlich höheren Organisationsgrad befindende und als Mantelproduzent für über 20 lokale Zeitungsverlage das Zulieferergeschäft gewohnte StN-Redaktion künftig die Lokalbeilagen produziert. Rebmann machte es anders herum. Ergebnis: Die redaktionelle Qualität von Sonntag Aktuell sank auf StN-Niveau und die Herstellung der Lokalbeilagen aus der StZ heraus verteuerte sich sogar.

Dass es in einer solchen Gemengelage eine nicht eben beruhigende Wirkung hat, wenn auch noch ein Konflikt von der Größenordnung des Streits um das Bahnprojekt Stuttgart 21 ausbricht, versteht sich von selber. Nicht, dass Richard Rebmann auch dafür noch was könnte, dass sich so wie die ganze Stadt auch die Leserschaften von StZ und StN in Befürworter und Gegner spalteten und fortan von ihren jeweiligen Zeitungen erwarteten, dass sie so oder so zu berichten hätten. Aber er hat als Chef des Ganzen auch nicht erkannt, welche Gefahr dieser Schwelbrand gerade für die Lokalzeitungen am Ort in sich birgt. Und so hat eben niemand die Stuttgarter Zeitung davor bewahrt, den größten Fehler ihrer Geschichte zu begehen. Anfang September 2010, als die Zahl der Demonstrationsteilnehmer Woche für Woche um ein paar tausend wuchs, bekannte sich die Redaktion in einem Leitartikel, den noch nicht einmal der Chefredakteur selber schrieb, zu dem Bahnprojekt – mit kaum mehr an Argumenten unterfüttert als dem, man sei „schon immer“ dafür gewesen. Spätestens drei Wochen später, nach dem „Schwarzen Donnerstag“ im Schlossgarten, hatte die StZ dadurch ein ganz gewaltiges Problem am Hals.

Seither verzeichnet das „Leitmedium“ die mit Abstand höchsten Auflagenverluste in Baden-Württemberg und steht auch im bundesweiten Vergleich ganz weit vorn in den Loser-Rankings. Und das in der wirtschaftsstärksten Region Deutschlands, in der das Geld, das ein Zeitungs-Abo kostet, keine so große Rolle spielt wie anderswo im Land. Denn nicht die zum Teil in zweistelligem Prozentsatz vorgenommen Preiserhöhungen, die Rebmann seit 2008 jeden Januar den Abonnenten zumutet, haben zur Mehrzahl der Kündigungen geführt, sondern vorwiegend redaktionelle Gründe. Bei Befürwortern von Stuttgart 21 ebenso wie bei Gegnern; bei denen allerdings in dramatisch höherer Zahl. Und das Problem ist nicht gelöst: Mit jedem Tag, an dem am Bahnhof nichts gebaut, aber der Kostendeckel gesprengt und gesprengt wird, tut sich die Redaktion mit ihrem Standpunkt schwerer. Eine Kehrtwende kommt aber auch nicht in Frage: Dann würden die Befürworter davonlaufen in hellen Scharen.

Derweilen hat Richard Rebmann die Chefetage im neunten Stock des Möhringer Pressehauses für anderthalb Millionen Euro um- und ausbauen lassen. Damit er's schön gemütlich hat in den nächsten fünf Jahren, um die sein Vertrag im Sommer – angeblich – verlängert worden ist und um Platz zu schaffen für die beiden neuen Geschäftsführungs-Kollegen, die ihn bei seinem schwierigen Geschäft unterstützen sollen. So stand es in einer Pressemitteilung vom vergangenen Frühjahr. Auf Deutsch heißt das allerdings was anderes: Rebmann, der als Mitgesellschafter von Anfang an einen unkündbaren Zehnjahresvertrag hatte, wird aus dem operativen Geschäft abgezogen und darf sich künftig vor allem auf seine ehrenamtliche Tätigkeit als Vizepräsident des Deutschen Verlegerverbandes konzentrieren. Den Laden wieder flottmachen sollen die beiden Neuen. Der eine kommt aus Thüringen, der andere aus dem Pharmagroßhandel.

Warum es so lang gedauert hat, bis die Gesellschafter reagierten, bleibt deren Geheimnis. Informiert waren sie früh, denn schon nach Rebmanns erstem Amtsjahr gingen ihnen anonyme „Geschäftsberichte“ zu, in denen offensichtlich Insider Rebmanns Fehlerketten ausführlich beschrieben und kommentierten. Diese zirkulierten sowohl im Pressehaus als auch in der Stadt bei Politik und Banken. Sie liegen auch der Kontext:Wochenzeitung vor.

Ob diese halbherzig gezogene Notbremse den Abwärtsstrudel zum Halten bringt, ist zu bezweifeln, denn zu den hausgemachten Problemen kommen diejenigen hinzu, die alle Tageszeitungen in Deutschland auch haben: Es gibt keinen Lesernachwuchs. Das Durchschnittsalter der Leserschaft von StZ und StN liegt längst deutlich in den Sechzigern, und Abonnenten, die jünger sind als 40, machen noch ein Prozent der Kundschaft aus. Die biologische Zeitbombe tickt. Insofern liegt Richard Rebmann mit seiner Auflagen-Auskunft von „109.000“ vielleicht gar nicht so falsch. Es war halt nur ein Ausblick in die – nahe – Zukunft.