Menschenmaler auf gleicher Stufe

Expressionismus Im Jahr 1900 trafen sie sich in Paris, jetzt treffen Emil Nolde und Paula Modersohn-Becker in Bremen wieder aufeinander. Die Gegenüberstellung macht deutlich, wie modern Modersohn-Becker war

Schon die Aktbilder von 1900 lassen Charakteristika späterer Stile erkennen: Modersohn-Beckers „Stehender weiblicher Rückenakt“ (l.) und Noldes „Pariser Modell“ Fotos: Paula Modersohn-Becker Stiftung, Nolde Stiftung Seebüll

von Elisabeth Nöfer

Gleichwertig sollen sie nebeneinander stehen, zwei der heute bedeutendsten KünstlerInnen der europäischen Avantgarde, in der Ausstellung „Emil Nolde trifft Paula Modersohn-Becker“ im Bremer Paula-Modersohn-Becker Museum. „Wir haben gehofft, dass die unglaublich starken Bilder der Gegenüberstellung standhalten und sich gegenseitig nicht die Wirkung nehmen“, sagt Kurator Frank Schmidt. Die Sorge ist verständlich: Wer die dick aufgetragenen Farbspektakel von Nolde und die Portraits von Modersohn-Becker kennt, weiß, wie ausdrucksstark beide in ihrem Stil sind. Doch die Begegnung läuft friedlich ab, die Parallelen sind konzeptionell sinnvoll gezogen.

Getroffen haben sich Nolde und Modersohn-Becker schon einmal, im Frühjahr 1900 in Paris. Beide zog es zur gleichen Zeit in die französische Kunst- und Kulturmetropole, wie viele andere Avantgardisten. Bedeutender als die Anekdote der persönlichen Begegnung ist aber die inhaltliche Gegenüberstellung von 70 Werken beider KünstlerInnen. Damit wird Paula Modersohn-Becker endlich als Künstlerin, nicht als malende Frau auf eine Stufe mit einem anderen bekannten Maler gehoben.

Missverstandene Künstlerin

Zu Lebzeiten fand Modersohn-Becker wenig Anerkennung, verkaufte nur drei Bilder. Noch 1988 entbrannte ein heftiger Streit zwischen UnterstützerInnen neuer Strömungen und TraditionalistInnen anlässlich einer Ausstellung in der Bremer Kunsthalle, die Bilder Modersohn-Beckers und Maria Bocks zeigte, beide Künstlerinnen in Worpswede. Der Weser-Kurier zerriss die Bilder als „unqualifizierbare Leistungen“ einer „primitiven Anfängerin“ – die innovative Kraft der Bilder erkannte er nicht, missverstand ihre flächig-pastose Malweise, für deren Ausdruckskraft sie später berühmt wurde.

Nach Paris kamen sowohl Nolde als auch Modersohn-Becker, um an der Akademie zu studieren. Nolde blieb den Kursen bald fern. „Paris hatte mir nur wenig gegeben“, konstatierte er später. Für Modersohn-Becker aber war es die Erfüllung eines Traums. In Deutschland war sie an den Akademien nicht zugelassen: Frauen sollten weder eigenständige berufliche noch künstlerische Ambitionen hegen, so die bürgerliche Vorstellung.

In Paris durfte sie die liberalere „Académie Colarossi“ besuchen, begegnete in den Museen und Galerien der Kunst von Paul Cézanne, Henri Matisse und Pablo Picasso. Henri Rousseau und den Bildhauer Auguste Rodin traf sie persönlich. „Ich fühle eine neue Welt in mir erstehen“, schrieb sie später. Auch in Paris blieb Modersohn-Beckers Bedeutung für die moderne europäische Kunst lange unbeachtet. Erst dieses Jahr widmete das Pariser Museum für Moderne Kunst ihr erstmals eine Ausstellung mit dem Titel „Die Intensität eines Blickes“.

Dabei zeigt sich in der Gegenüberstellung mit Nolde, „wie modern sie war, welche neuen Kunstformen sie in ihrem kurzen Wirken schon angekündigt hat – manchmal früher als die ‚großen Männer‘“, sagt Claudia Klocke von den Museen Böttcherstraße. Als Einzelgängerin habe sie schon 1907 mit dem Bild „Elsbeth zwischen Feuerlilien“ naturgetreue Größenverhältnisse und Raumtiefe zugunsten des Ausdrucks umgeworfen.

Auch in Paris blieb Modersohn-Beckers Bedeutung für die europäische Kunst lange unbeachtet

Doch Paris hatte nicht nur erheblichen Einfluss auf Modersohn-Becker, auch in Noldes Bildern lasse sich der Einfluss erkennen, sagt Klocke. Das habe die Forschung bisher aber weitgehend ignoriert. In Kooperation mit der Stiftung Seebüll, die im ehemaligen Wohnsitz Noldes heute sein Oeuvre verwaltet, holte Kurator Frank Schmidt einige Schätze erstmals aus dem Depot.

Dazu gehören Noldes Aktstudien aus der Pariser Académie Julian im ersten Raum der Ausstellung, wo die Gegenüberstellung chronologisch mit den Aktzeichnungen aus den Pariser Malschulen beginnt. Schon hier meinen die AustellungsmacherInnen die Charakteristika des jeweiligen späteren Stils zu erkennen: Modersohn-Becker konzentriere sich akribisch auf Flächen und die ungeschönte Wiedergabe der Körperformen. Noldes Zeichnungen seien malerischer, mit sanft gestuften Schattierungen und konstrastierenden Lichterfeldern.

Klischeehafte Rezeption

Ein passender Beginn sind die Aktstudien auch deshalb, weil der Fokus auf Nolde und Modersohn-Becker als „Menschenmaler“ liegt. Damit räumt die Ausstellung mit den Klischees auf, die die zeitgenössische Rezeption beider KünstlerInnen begleiten: Nolde ist vor allem bekannt für seine flächig-pastosen Blumenbilder und nordischen Landschaften, Modersohn-Becker für ihre Worpsweder Landschaftsdarstellungen.

Die Künstlerin ist zudem als „mütterliche Malerin“ bekannt. Oft zitiert wurde das „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ als Schwangere (1906) und ihre berührenden Darstellungen von Kindern – auch wenn die erdig-dunklen Kinderdarstellungen so gar nicht zur Lieblichkeit neigen. Eher ist Modersohn-Becker am starken Ausdruck von Mutter-Kind-Darstellungen interessiert, Motive, die Nolde gleichermaßen aufgreift.

Ausdruck von Innerlichkeit

Innerlichkeit auszudrücken und das Wesen der Dinge abzubilden, statt die Wirklichkeit direkt auf die Leinwand zu übertragen, darin ähneln sich beide KünstlerInnen. Sie wolle „bei intimster Beobachtung die größte Einfachheit anstreben“, schrieb Modersohn-Becker 1903 in ihr Tagebuch. Ein ganzer Raum ist dem „Gesicht als Maske“ gewidmet.

Bewusst wird in der Ausstellung mit Zitaten gearbeitet und auf die üblichen erklärenden Texte verzichtet. Vorwissen braucht es dabei aber schon. „Ob denn ich gar kein Interesse an Menschen nähme, weil anscheinend ich so wenig hinschaue“, beklagte sich Nolde etwa 1934. Das war kurz nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Damals hoffte Nolde noch auf Anerkennung durch das Regime und dass der deutsche Expressionismus zur „Nationalkunst“ werde. Doch die Nazis entschieden sich für einen volkstümlichen Realismus. Nolde wurde wie Modersohn-Becker als „entarteter Künstler“ diffamiert.

Zwar zeigt die Ausstellung auch seine „ungemalten Bilder“, die unterm Malverbot entstanden, diese Gemeinsamkeit beider thematisiert die Ausstellung aber nicht: Der geschichtliche Kontext liefert zwar einen Anlass, im Mittelpunkt stehen aber die Bilder an sich.

„Emil Nolde trifft Paula Modersohn-Becker“: bis 29. Januar 2017, Paula-Modersohn-Becker-Museum, Bremen